Trier Eine Erzählung bei nassem Schnee

Trier · Die Premiere von „Aufzeichnungen“ der Bühne 1 bietet Theatergenuss vom Feinsten.

 Starkes Spiel: Pia Schellen (links) und Janine Schwarze überzeugen – wie das ganze Ensemble – in der Bühne-1-Produktion „Aufzeichnungen“.

Starkes Spiel: Pia Schellen (links) und Janine Schwarze überzeugen – wie das ganze Ensemble – in der Bühne-1-Produktion „Aufzeichnungen“.

Foto: Karin Pütz

Kaum eine Bühne in Trier eignet sich wohl besser für „Aufzeichnungen (aus dem Kellerloch)“ als die Räumlichkeiten im Untergeschoss des Domfreihofs 1b (Ex-Rakete). Denn der namenlose Titularrat in Dostojewskis Geschichte lebt in einem Keller und erzählt aus seinem Leben. Der ehemalige Beamte ist ein unglücklicher Mensch, hin- und hergerissen zwischen der Scham, arm zu sein und dem Streben nach Anerkennung, obwohl er den Erfolg an sich verachtet.

Obwohl er Chancen hat, nutzt er sie nicht und fühlt sich anschließend in seinem Versagen bestätigt. In der Inszenierung von Mihails Gubenko übernehmen gleich drei Schauspieler – Männer und Frauen – seinen Part. Zu Beginn ist es Helene Aderhold, die von seitlich oben herab zum Publikum von der „Erzählung bei nassem Schnee“ spricht und es in ihren Bann zieht. Eine vierte Wand gibt es nicht, der Zuschauerraum wird von zwei Seiten bespielt. Dazu kommen Leinwände und Bildschirme, auf denen Filmsequenzen gezeigt werden. Die Interaktion mit den Personen in diesen Einspielern erfordert von den Darstellern auf der Bühne perfektes Timing. Doch nie wirken diese  multimedialen Elemente ablenkend, überflüssig oder überfrachtet. Außer Helene Aderhold spielen Till Thurner und Janine Schwarze mit großer Energie und enormer Präsenz. Die Kreativität der Inszenierung fasziniert immer wieder und die Videoeinspieler beweisen filmisches Können. Es ist ein Genuss, sämtlichen Akteuren zuzuschauen, und ein Vergnügen, von Dostojewskis Hauptperson direkt angesprochen zu werden. Pia Schellen, die im Vergleich zu den anderen Schauspielern eine eher kleine Rolle hat, ist präsent und agiert auf den Punkt. Hannes Brogmus, nur auf der Leinwand zu sehen, sorgt sogar für einige komische Momente. Dostojewskis Text ist erstmals 1864 veröffentlicht worden, doch er kann mühelos auf die heutigen Verhältnisse übertragen werden. Zumindest, wenn die Inszenierung so sorgfältig und liebevoll erfolgt wie bei Mihails Gubenko. Ein großer Vorteil mag auch die unterlassene Pause sein, die den Zuschauern das Eintauchen in die Welt des Protagonisten noch leichter macht. Gepaart mit der großartigen Leistung sämtlicher Schauspieler entlädt sich die Begeisterung des gezwungenermaßen kleinen Publikums in der ausverkauften Premiere in lang anhaltendem Beifall.

Als Zuschauer zehrt man noch lange vom Erlebten – das sollte es auch, denn nun dauert es vier Wochen, bis Kulturstätten hoffentlich wieder öffnen dürfen. Für die Bühne 1 entfallen somit zwölf November-Termine.

Günstigstenfalls bleiben ihnen noch vier von geplanten 16 Vorstellungen mit jeweils nur 24 zugelassenen Zuschauern. Nachholtermine sind laut Mihails Gubenko nicht möglich.

„Aufzeichnungen“ – intermediales Thea­ter – weitere Vorstellungen  am 1., 2., 3. und 5. Dezember (20 Uhr), Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen zu 16 Euro, ermäßigt 12 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort