Pop, Rock und Hip-Hop Provozieren, weil es Kohle bringt
Trier · Provokative Texte gehören zum Pop, Rock und Hip-Hop schon immer dazu – auch wenn sich die Art der Provokation geändert hat. Ein Überblick.
Er ist vielen noch in guter Erinnerung, der Eklat um die Verleihung des Musikpreises Echo 2018: Die beiden umstrittenen, aber kommerziell eben äußerst erfolgreichen Brachial-Rapper Kollegah und Farid Bang (bürgerlich Felix Martin Andreas Matthias Blume und Farid Hamed El Abdellaoui) sorgen mit einer Textzeile ihres Liedes 0815 im gesamten deutschsprachigen Raum für Aufsehen und Empörung, weil es darin heißt: „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen.“
Bekannt außerhalb des Rap-Ghetto-Universums wurde der Song samt der hässlichen Zeile nur, da das dazugehörige Album „Jung, brutal, gutaussehend“ für den renommierten Echo-Musikpreis in der Kategorie Hip-Hop/Urban National nominiert worden war – und gewann. Was die logische Konsequenz war, da beim seit 1992 von der Deutschen Phono-Akademie und dem Kulturinstitut des Bundesverbandes Musikindustrie vergebenen Echo eben nicht künstlerisch besonders wertvolle musikalische Werke ausgezeichnet werden, sondern kommerziell erfolgreiche. Und das war das Rap-Duo ohne Zweifel. Die Folgen sind breite gesellschaftliche Empörung und der Ruf nach Konsequenzen. Und die lassen nicht lange auf sich warten: Viele aktuelle und frühere Preisträger geben ihre Trophäen zurück, Echo-Beiratsmitglieder wenden sich ab, Sponsoren ziehen sich zurück, gegen die Sänger wird wegen Volksverhetzung ermittelt, der Musikpreis wird abgeschafft.
Das alles erläutert Musikjournalist Michael Behrendt kenntnisreich in seinem Buch „Provokation, Songs, die für Zündstoff sorg(t)en“ über eben jenes Rap-Lied – und insgesamt 70 kontroverse Hits der vergangenen 100 Jahre. Seine Auswahl reicht dabei von politischen Protestsongs bis zu anstößigen Chartstürmern, von Stöhn-Grooves bis zum Skandal-Rap. Er beleuchtet die Werke von Künstlern wie Bill Haley, Bob Dylan, den Doors und Sexpistols bis zu denen von Ton Steine Scherben, Falco, Marilyn Manson, Rammstein, Heino sowie Kollegah und Farid Bang. Dabei stößt man auf viele Lieder, die einen selbst begleitet haben – einige, die man nur so nebenbei im Radio gehört und um dessen „Skandalgeschichte“ man gar nichts mitbekommen hat wie bei Katie Perrys Pop-Hit „I kissed a girl“. Bei anderen wiederum fühlt man sich (zumindest der 1969 geborene Autor dieses Artikels) prompt in die eigene Rebellionsphase katapultiert, als die Sexpistols mit „Anarchy in the UK“ und die „Scherben“ um Rio Reiser mit ihrer linken Anarcho-Hymne von 1970 „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ eine Renaissance erfuhren.
Behrendt ordnet die Lieder in ihren gesellschaftlich-historischen Kontext ein und zeigt so auf, weshalb sie in ihrer Zeit so für Aufsehen sorgten. Und er beleuchtet die Auswirkungen: Bei einigen Songs wird es für die Interpreten existenzbedrohend, da Staat und Obrigkeit massiv drohen. Andere Songs bewegen die Jugend nachhaltig (wie Bob Dylans „Like a Rolling Stone“), wiederum andere kommen „nur“ auf den Index und werden so noch berühmter. Und dann gibt es – heute zunehmend – die Songs, die bewusst Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Menschenverachtung zum Inhalt haben, weil damit offenbar gut Kasse zu machen ist und letztlich viele dieser Interpreten auch genauso ticken – trotz aller wiederholten gegenteiligen Beschwichtigungen. Dass Behrendt das scharf herausarbeitet, ist die wohl beste Leistung des Buches, das sich bei aller wissenschaftlich-theoretischen Basis dennoch gut liest: dank des ein oder anderen Augenzwinkerns und der profunden Musikkenntnis des Autors.
Eine Auswahl an Songs, die manche Leute provozierten – und warum.
Billie Holiday: Strange Fruit (1939)
Die afroamerikanische Sängerin thematisiert im Song die Lynchmorde in den Südstaaten – „Strange Fruit“, die seltsame Frucht, ist im Song der Körper eines Schwarzen, der vom Baum hängt. Das Stück wird als frühes Beispiel der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung angesehen. Damals machte sich Billie Holiday viele Feinde mit dem Song, vor allem in den Südstaaten: In Mobile (Alabama) wurde sie aus der Stadt gejagt, als sie „Strange Fruit“ spielen wollte.
Ton Steine Scherben: Macht kaputt, was euch kaputt macht (1970)
Der Slogan wurde in den späten 60ern in der Autonomen- und Hausbesetzerszene populär. Rio Reiser schrieb dazu einen Song, der Ton Steine Scherben in der Folge einem großen Publikum bekanntmachte – und der sich in den folgenden Jahren als gesprühte Parole auf etlichen Hauswänden wiederfand. Dazu trug auch ein berüchtigtes Festival bei: Am 6. September 1970 spielte nicht nur Jimi Hendrix sein letztes Konzert beim „Love & Peace“ auf Fehmarn. Beim Scherben-Auftritt wurde auch bei „Macht kaputt ...“ die Bühne in Brand gesetzt (wenn auch wohl nicht von der Band selbst). Das Festival musste abgebrochen werden.
Westernhagen: Dicke (1978)
Kleine Auszüge daraus: „Dicke haben schrecklich dicke Beine/Dicke ham’n Doppelkinn/Dicke schwitzen wie die Schweine/Stopfen, fressen in sich rin. (...) Und darum bin ich froh, dass ich kein Dicker bin, denn dick sein ist ne Quälerei.“ Lustig war die Klischeereihung damals schon nicht – egal, wie sie von Westernhagen gemeint war.
Frank Zappa: Bobby Brown (1979) Ein bisschen schwülstig kommt er schon rüber, der – zumindest in Deutschland – berühmt-berüchtigste Titel von Frank Zappa: grandioser Musiker, großer Provokateur. Dass „Bobby Brown“ in Deutschland viel mehr Leute auf die Tanzfläche lockte als in den USA lag vielleicht daran, dass manche nicht so recht verstanden, worüber Zappa da in seiner Rolle als „Bobby Brown“ doziert: Der reiche, „süßeste Junge der Stadt“, der nach einem traumatischen Ereignisse mit einer Lesbe namens Freddie letztlich zum „sexuellen Spastiker“ wird. Und das ist die sehr zensierte Zusammenfassung.
Jennifer Rostock: Hengstin (2016)
Für Autor Behrendt ist das eine beeindruckende Provokation, „weil Jennifer Rostock es geschafft hat, sowohl Neonazis, Rechte als auch Rapper mit Migrationshintergrund gegen sich aufzubringen. Und sie hat ja dafür gesorgt, dass Bass Sultan Hengst einen Antwort-Song gemacht hat, in dem er sich genau als der Macho entlarvt, der da kritisiert wird“, sagte er dem Deutschlandfunk.