Theater Vom Zauber vergeblicher Liebe

Trier · Behutsam und  gefühlsstark: Purcells „Dido and  Aeneas“ und  Poulencs „La voix humaine“ im Trierer Theater

 Ein letztes Telefonat: „La voix humaine“ im Theater Trier.

Ein letztes Telefonat: „La voix humaine“ im Theater Trier.

Foto: Theater/Virginie Lançon

Es bedurfte einiger Takte des Einspielens und Einhörens. Aber spätestens im Allegro-Teil der Ouvertüre zu Purcells „Dido and Aeneas“  waren die Trierer Philharmoniker ganz auf der Höhe ihrer stilistischen Anpassungsfähigkeit. GMD Jochem Hochstenbach ist das Kunststück gelungen, aus einem „Arbeitsorchester“ mit seinem vielfältigen Aufgabenbereich ein Ensemble zu formieren, das Barockmusik ohne Stilbrüche realisieren kann.

Was vor gut 500 Besuchern im Trierer Theater aus dem Graben ins Publikum übersprang, war nicht sinfonisch schwer und angestrengt, sondern hell, beschwingt, transparent und beweglich. Und auch Poulencs Einakter  „La Voix humaine“ kam beim Orchester und Dirigenten ohne Schwerfälligkeit aus. Es war ein hellhöriges, ein farbenreiches und dazu ungemein einheitliches Musizieren. Hochstenbachs Interpretation ist aus einem Guss. Die zahlreichen Generalpausen, die sich bei Poulenc in einer Fülle von Pausenzeichen niederschlagen, überspielt er mit einer gewissen Eleganz. Und die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, sie führt er mit Sorgfalt und Motivationskraft zugleich.

Gibt es eine Verbindung zwischen den historisch und stilistisch weit auseinanderliegenden Stü­­­cken? Regisseur Jean-Claude Berutti jedenfalls sucht nicht angestrengt nach Gemeinsamkeiten. Sogar die naheliegende, einst von Walter Benjamin entdeckte Affinität von Barockdrama und Expressionismus spielt bei ihm keine Rolle. Berutti entfaltet die Stücke ganz individuell. Und stützt sich dabei auf Ausstattungen, die einfach wunderschön sind.

Rudy Sabounghi (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) stellen Purcells Drama in eine farbsinnliche und symbolstarke Umgebung –  Didos Kammer in cremefarbenem Weiß,  der zugleich idyllische und bedrohliche Hexenwald, die sturmbewegte Schifffahrt des Aeneas, schließlich wieder die Kammer der verlassen sterbenden Dido: all das ist nicht Dekoration, sondern  Inhalt. Und es ist mehr als ein dramaturgischer Kunstgriff, wenn Berutti bei Poulenc einen Teil des Publikums auf die Bühne stellt. Da präsentiert sich die verzweifelte Intimität des immer wieder unterbrochenen und schließlich abrupt beendeten Telefonats in einer grausam präsenten Öffentlichkeit. Schlimmer kann es für die hoffnungslos Liebende nicht kommen.

Regisseur Jean-Claude Berutti kapriziert sich nicht auf theatralische Effekte, auf weit hergeholter Deutungsversuche und ist auch kein Freund von buntem Regie-Allerlei. Auch die Balletteinlagen (Roberto Scafati) laufen mit einer eleganten Dezenz ab. Es sind die kleinen unauffälligen Gesten, die seine Regie so eindrucksvoll machen – der große Spiegel bei Poulenc, der die Einsamkeit der Titelfigur nur noch verstärkt, oder bei Purcell am Ende die Atmosphäre von Distanz und mitleidsloser Kälte einer Umgebung, in der sich die Titelfiguren selber aufgeben.

Dass das kleine Theater wieder einmal solch heikle Stücke fast aus eigener Kraft auf die Bühne stellte, ist ein Mirakel, an das sich Beobachter und Besucher immer noch gewöhnen müssen. Immerhin verstärkt Fritz Spengler, der nur mangels Einsatzmöglichkeiten das Trierer Ensemble verlassen musste, mit seiner grandiosen Bühnenpräsenz die Formation der Hexen. Aber auch alle übrigen Akteure sind kein Behelf: Derek Rues unauffälliger Aeneas, Eva-Maria Ammans leichtfüßige Belinda, Matthias Beins obskure Zauberin (weitere Akteure: Angelika Schmid, Silja Schindler, Blaise Rantoanina). Und schließlich ein Chor (Angela Händel), der mit Präzision, Präsenz und Stimmstärke glänzt.

Und dann, wirklich grandios: die Dido von Janja Vuletic und Réka Kristófs einsame „Stimme“. Sie sind die Königinnen der Aufführung. Sängerisch sind sie perfekt, bieten Beweglichkeit für alle Details auf und scheuen dabei nicht die großen Operngesten. Aber über die stimmlichen Qualitäten hinaus verströmen sie eine mal hoffende, mal zweifelnde und am Ende todtraurige Emotionalität. Und da führt Berutti die beiden Stücke, die scheinbar weit auseinanderliegen, überzeugend zusammen. Im Angesicht des Endes entfalten beide Hauptfiguren ein letztes Mal alle Gefühlskraft, deren sie mächtig sind. Es ist die Fülle an Emotionen, die misslingende Liebe in ihrer Zerbrechlichkeit ausstrahlt – barock-umfassend die eine, individuell und privat die andere. Und angesichts dieser beklemmenden Grenzsituation sinkt alles Trennende der Stücke zur Nebensache herab.

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