Jazz-Open-Air Eine Stimme, eine Gitarre, ein Sänger

Trier · Raul Midón, die One-Man-Band aus New York, beeindruckt bei „Jazz im Brunnenhof“, nicht nur mit seinem täuschend ähnlichen Blechbläser-Sound.

 Ein Multitalent: Raul Midón spielt Gitarre, Congas, Klavier, singt und kann Trompetenlaute nachahmen.

Ein Multitalent: Raul Midón spielt Gitarre, Congas, Klavier, singt und kann Trompetenlaute nachahmen.

Foto: TV/Marion Maier

Mit den Etikettierungen sollte man es nicht immer so genau nehmen. Jazz hat er zwar auch im Repertoire –, der amerikanische Sänger, Gitarrist und Stimmakrobat Raul Midón, der 1966 als Sohn eines Argentiniers und einer Afroamerikanerin in New Mexico geboren wurde. Was er allerdings an diesem Sommerabend im Brunnenhof in Trier präsentiert, ist doch vorwiegend Funk, Soul, Rock, Pop, Latin, Flamenco und, ja, auch ein bisschen verbrämte Klassik in Gestalt des zweiten Satzes von Joaquín Rodrigos „Concierto de Aranjuez“. Das Adagio, vor einem halben Jahrhundert bereits vom Franzosen Richard Anthony zu einem Schmachtfetzen namens „Mon Amour“ verkitscht, wird bei Midón zu einer spröden Sehnsuchtsballade, die er „Yesterday“ überschreibt.

Mit dem Spanier Rodrigo hat Midón übrigens gemein, nicht sehen zu können. Bei dem Komponisten war es die Diphterie, durch die er als Vierjähriger erblindete; bei Midón ein ärztlicher Behandlungsfehler im Brutkasten, in den er ohne Augenschutz gelegt wurde (ein Schicksal, das er mit seinem Zwillingsbruder teilt). Was freilich seine Kunst und Kunstfertigkeit nicht im Geringsten beeinträchtigt hat: Der Mann ist ein Derwisch auf der Gitarre, der er flirrende Läufe, aggressive Riffs und feinziselierte Melodielinien entlockt, die sich nicht selten zu üppigen, geradezu rauschhaften Klangkaskaden steigern. Hinzu kommt seine weich-schmeichelnde Stimme, die locker vier Oktaven umfasst (inklusive üppig eingesetztem Falsett), ein Talent zum Scatten, jenem sinnfreien Silbengesang, den unter anderem Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Bobby McFerrin meisterhaft beherrschten. Midón pickt sich von den großen Vorbildern das Beste heraus und drückt den Nonsense-Zeilen seinen durchaus persönlichen Stempel auf.

Midóns Repertoire besteht zu einem Großteil aus herben, melancholischen Liebesliedern, die ziemlich klischeefrei von Verlangen und Verlust erzählen. Sie reihen sich zu eindringlichen, wenn auch nicht eingängigen Melodien mit überraschenden Harmoniewendungen; kaum einer der rund 400 Zuhörer dürfte in der Lage sein, „Mystery Girl“, „State of Mind“ oder „Sunshine, I can fly“ nach dem ersten Hören korrekt nachzusingen. Fast wie ein selbstironischer Kommentar auf das eigene Handicap anspielend ist seine Komposition „All love is blind“, in der es unter anderem heißt: „Wenn ich weit genug entfernt von dir bin, kann ich dein Gesicht sehen …“

Im Alter von vier Jahren begann Midón mit dem Schlagzeugunterricht. Zwar hat er Trommeln und Becken schon bald gegen die Gitarre eingetauscht, aber das prägnant-perkussionistische Spiel zelebriert er auch auf den Saiten seines Instruments, bisweilen unterstützt von Bongotrommeln, die er mit atemberaubender Geschwindigkeit zusätzlich zum Klingen bringt: jeweils eine Hand für ein Instrument.

Begonnen hat Midón seine Karriere als Background-Vokalist unter anderem für José Feliciano,  Jennifer Lopez, Christina Aguilera und dem Herzschmerzsänger Julio Iglesias. Als er dann ab 2002 zu anderen Kollegen wechselte und etwa mit Paquito D’Rivera und  Herbie Hancock auftrat, wirkte sich das durchaus positiv und stilprägend fürs eigene Repertoire aus: Vom Hintergrund-Pop zum Gitarren-Poeten war es nur ein kleiner, aber bedeutender Karriereschritt.

Wenn man im Verlauf des gut anderthalbstündigen pausenlosen Konzerts mal die Augen schließt, hört man bisweilen auch weiche Bebop-Trompetenklänge. Doch das Instrument sucht man, die Augen wieder geöffnet, vergebens. Midón erschafft einen täuschend ähnlichen Blechbläser-Sound mit Hilfe von Zunge, Zähnen und Lippen. Ein famoser Trick, der das Publikum im Brunnenhof immer wieder zu Jubelstürmen hinreißt – die allerdings auch nicht zu mehr als einer Zugabe am Ende des pausenlosen Abends führen.

Nächsten Donnerstag bei „Jazz im Brunnenhof“: The Allan Harris Band; Beginn: 20 Uhr. Karten gibt es bei Ticket regional, Telefon 0651/7199-996.

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