Registratur eines gescheiterten Lebens

Der Amerikaner Robert Wilson gilt als derzeit bedeutendster Theatermacher der Welt. Das Luxemburger Grand Théâtre bot nun die Möglichkeit, den Regisseur, Autor, Bühnenbildner, Lichtdesigner, Videokünstler und Maler in der seltenen Rolle des Schauspielers kennenzulernen - bei Becketts Ein-Personen-Stück "Krapp's Last Tape".

Luxemburg. (DiL) Krapp ist ein merkwürdiger alter Mann. Ein Schriftsteller, dessen Bücher schon lange keiner mehr lesen will. Ein Chronist in eigener Sache, der jedes Jahr ein Tonband mit seinen Erinnerungen bespricht. Und nun, zu seinem Siebzigsten, gerät er an ein Jahres-Protokoll, das er vor 30 Jahren eingesprochen hat. Die Auseinandersetzung mit seinem jüngeren Selbst und dem, was daraus geworden ist, fällt erschreckend schonungslos aus.

So weit Samuel Beckett. Aber Wilson ist immer auch Wilson. Der Bilder-Magier. Der Sezierer. Der Grenzenausloter. Und so gilt das Interesse in Luxemburg primär der Frage, was Robert Wilson aus "Krapp" macht. Wo er doch diesmal Darsteller, Regisseur, Bühnenbildner und Lichtdesigner in einem ist.

Es wird ein einstündiges Spiel auf den Nervenenden. Beginnend mit einem Gewitter, dessen Donnerschläge die Theatersitze zum Vibrieren bringen und dessen Starkregen akustisch und visuell so eindringlich auf das Publikum einprasselt, dass man unwillkürlich zur Saaldecke schaut, ob die Wassermassen nicht womöglich durchdringen.

Ein Mann im schwarzen Keller



Ein Mann sitzt in einem schwarzen Keller, fast wie in einem Verlies. Ordner, Tonbänder, Papierstapel, Metallschränke: die Registratur der Ereignisse eines gescheiterten Lebens. Anfangs macht ihn die genial komponierte Beleuchtung gesichtslos, später sieht man, dass er weiß geschminkt ist. Ein trauriger Clown vielleicht, mit chaplineskem Watschelgang. In unendlich gedehnten, aber atemberaubend spannenden Bewegungen und Verrichtungen zieht Wilson die Zuschauer in die Persönlichkeit Krapps hinein. Bis dann der Dialog mit seiner eigenen, vor 30 Jahren aufgezeichneten Stimme beginnt. Er unterbricht sich, kommentiert sich, diskutiert mit sich, schreit sich an, lacht sich aus, heult sich was vor.

Wer hält schon die Konfrontation mit seinen Träumen, Ambitionen, Meinungen, Entscheidungen aus einer früheren Lebensperiode aus? So knallhart, in eigenen Worten, nicht durch Verdrängung und Verklärung gemildert? Es tut fast körperlich weh, wie Wilson sich und das Publikum mit diesem Prozess konfrontiert. Das fordert Konzentration, auf beiden Seiten des Vorhangs. Und vom Darsteller eine fast unmenschliche Präzision. Jeder Millimeter, jede Sekunde, jedes Dezibel, jedes Lux zu viel oder zu wenig, und die Faszination würde ins Bemühte kippen.

Aber, auch wenn es klischeehaft klingt: Da steckt wirklich Magie in Wilsons Arbeit. Und das Publikum bedankt sich mit Atemlosigkeit: kein Räuspern, kein Husten, keine Bewegung, mehr als eine Stunde lang. Ein Theater-Abend? Ein Erlebnis!

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