Reportage: Ein Tag im Theater Trier

Trier · Dunkle, kahle Gänge. Eine graue Eisentür reiht sich an die andere. Treppenhäuser rauben die Orientierung und die Hoffnung auf Schönheit im nächsten Stockwerk. Kaum mehr als ein düsteres Heim von Aktenbergen lässt sich hier vermuten. Doch wer die schweren Türen öffnet, blickt in eine völlig andere Welt: das buntere Leben.Ein Tag im Theater Trier.

 Das Theater Trier. Foto: Ursula Quickert

Das Theater Trier. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert

BO3 Margarethe, 10 Uhr. So kündigt der Wochenplan des Theaters an, dass Bühnenakteure und Orchester gemeinsam zum dritten Mal Charles François Gounods Oper Faust (Margarethe) proben. Noch eine schnelle Zigarette, dann huschen die letzten Darsteller durch die Tür mit der Aufschrift „Theater Trier - Bühneneingang.“ Eine Stimme aus dem Lautsprecher ruft die letzten Beteiligten herbei.

Es ist Montagmorgen, der erste im Jahr. Victor Puhl zwingt zur Disziplin: ein schärferes Fortepiano und die Harfe etwas lauter, die Gefängnisszene also noch einmal von vorne. Der Dirigent malt im Orchestergraben Melodien in die Luft, während die Augen des Kapellmeisters und des Chefrepetitors im Zuschauerraum abwechselnd auf den Sängern und dem Skript ruhen. „Hört man die Klarinetten noch?“ Die beiden nicken.

In der Mitte der leeren Stuhlreihen sitzen Intendant Gerhard Weber und Regieassistent Marc Pierre Liebermann, der ab und an auf die Bühne läuft, um Requisiten zu richten und kleine Rollen zu übernehmen. In der Pause kann auch Anke Daver an ihrem Inspizientenpult neben dem Bühneneingang kurz verschnaufen. Die Niederländerin ist die Stimme des Theaters, ruft während Proben und Aufführungen per Lautsprecherdurchsage rechtzeitig die Akteure herbei. Michael Worst zum Beispiel. Mit Headset pendelt er zwischen dem Großen Haus und dem Büro der Bühnentechnik hin und her. Was heute geschieht, nennt er „beschnuppern“: schauen, ob die Umbauten reibungslos vonstattengehen und es noch Feinarbeiten zu erledigen gibt. Arbeiten, „um Illusion zu schaffen“.

Die Illusion, Gipsköpfe auf Holzkreuzen in betende Gestalten zu verwandeln, liegt in diesem Moment in der Hand von Ingela Lambertz. In einem Flur umwickelt die Requisiteurin den Hals der „Puppe“ mit Klebeband, während Maskenbildnerin Manuela Stephan ein paar Räume weiter sacht ein Band von einer der 700 Perücken im Fundus des Theaters abtrennt, die über einen Holzkopf gespannt ist. Ein Mitglied des Chors soll sie heute Abend tragen – wenn Faust zum ersten Mal mit der kompletten Ausstattung geprobt wird.

Vorbei an der Seitenbühne, wo der Liebespavillon und der zerteilte Eiffelturm der Lustigen Witwe ruhen, öffnet sich eine fast bis zur Decke reichende Tür zum Malersaal. Hier wird Faust vom Radio und dem Rauschen der Abluftanlage übertönt. Langsam rollt Bühnenmalerin Sarah Durry immer wieder mit einer in schwarzer Farbe getränkten Walze über eine Zuschauersilhouette aus Holz, die im Musical Cabaret den Operngraben zieren soll. Von der Oper zeugt hier nur noch der Sockel einer Statue, deren Oberfläche noch bearbeitet werden muss.

Eine Scheinwelt aus Sperrholz

Auch in der Werkstatt der Schreiner nebenan gelten die Gedanken längst anderen Stücken. Es riecht nach Metall und Holz, feine Sägespäne fliegen durch die Luft. Ein gigantischer Fotoapparat – ebenfalls für Cabaret – wird Stück für Stück zusammengesetzt. „Eine Scheinwelt aus Sperrholz", nennen das die Männer. Eine Scheinwelt aus Stoffen breitet sich gleich neben ihnen aus. Dort, wo Raumausstatter Stoff nähen, der Wände, Möbel und Boden der Bühne bedecken wird. Und drei Etagen höher, wo Nähmaschinen surren und sich Nadeln flink durch knappe Kleider und Schürzen bohren. Die Schneider verschaffen Männern in zu eng gewordenen Smokings Luft, füttern Westen, fertigen Hüte. „Hauptsache robust – die Kostüme müssen etwas aushalten“, erklärt Leiterin Monika Born.

Das haben sie gemein mit Daniel Herzog. Die Tür des Künstler-Betriebsbüros öffnet und schließt sich unentwegt. Realität verdrängt hier Träumerei. Regieassistenten wollen mit dem künstlerischen Betriebsdirektor den Probenplan für die nächste Woche abstimmen. Darsteller, die ausfallen, müssen ersetzt werden. Und die Planung der nächsten Spielzeit wartet. Herzog nennt sein Büro stolz Kommandozentrale darüber, was wann wo geschieht und wer mitwirkt.

Geschäftigkeit, die Chefdramaturg Peter Oppermann Ruhe und damit das Weite suchen lässt – mit neuen Stücken zum Lesen unter dem Arm. So, wie der Posaunist gerade Zuflucht sucht in einem einsamen Probenraum, das Selbststudium im Sinn.

So wird es langsam ruhig im Theater. Denn wer an Proben und Aufführungen mitwirkt, arbeitet erst wieder ab dem späten Nachmittag. Beleuchtungsmeister Hans Ortheil hat sich mit einem Notenständer auf der Bühne positioniert, dirigiert Standorte und Stärke der Scheinwerfer. Einige Meter entfernt von ihm, in einer Art Kabine mit Blick auf die Bühne, programmiert Lichtstellwerker Klaus Pahlke die letzten Helligkeitseinstellungen. So muss er während der Aufführung nur auf einen Knopf drücken, um die jeweilige Szene in die passende Stimmung zu tauchen.

Und dann wird die Bühne zur Welt, die sich jetzt, kurz vor der ersten Hauptprobe mit Klavier- statt Orchesterbegleitung, doch etwas Hektik gefallen lassen muss. Tontechniker bauen hinter der Bühne die Mikrofone für den Chor auf, in der Maske huschen Schminkschwämmchen und Lidschattenpinsel über die Gesichter, und in der Garderobe wird die fehlende Brustpresse ebenso zum Problem wie der zu kleine Schuh. So schwirren die Ausstatter suchend durch die Gänge – wenn sich am Ende auch nicht jedes Hindernis auf dem Weg zur perfekten Illusion gleich lösen lässt.

 Der Bühneneingang des Theaters. Foto: Ursula Quickert

Der Bühneneingang des Theaters. Foto: Ursula Quickert

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 Die Garderobe. Foto: Ursula Quickert

Die Garderobe. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Der Große Saal des Trierer Theaters. Foto: Ursula Quickert

Der Große Saal des Trierer Theaters. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Die Inspizientin. Foto: Ursula Quickert

Die Inspizientin. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Der Malersaal im Theater. Foto: Ursula Quickert

Der Malersaal im Theater. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Die Maske. Foto: Ursula Quickert

Die Maske. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Proben im Theater Trier. Foto: Ursula Quickert

Proben im Theater Trier. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Die Requisite. Foto: Ursula Quickert

Die Requisite. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Schminken in der Maske des Theaters Trier. Foto: Ursula Quickert

Schminken in der Maske des Theaters Trier. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Die Schneiderei im Theater Trier. Foto: Ursula Quickert

Die Schneiderei im Theater Trier. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert
 Die Schreinerei im Trierer Theater. Foto: Ursula Quickert

Die Schreinerei im Trierer Theater. Foto: Ursula Quickert

Foto: Ursula Quickert

Rechts und links des schweren Vorhangs sammeln sie sich nun alle – Darsteller, Techniker, Requisiteure, Regisseure. Auch das Maschinierpult, dessen Hebel bis zu einer Tonnen schwere Gegenstände an Seilwinden hinab- und hinaufbewegen, ist nun nicht mehr verwaist. Nebel steigt auf, das Klavier setzt ein. Und es stellt sich die Frage, ob Theater ohne Publikum Theater ist. Selbst wenn. Illusion bleibt Illusion, ob vor oder hinter den Kulissen.

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