"Ressourcen sind begrenzt"

Trier · Mit einer feierlichen Vesper im Trierer Dom wird Stephan Rommelspacher morgen nach Leipzig verabschiedet. Seinen letzten Auftritt hat der Domkapellmeister bei der Aufführung von Bachs h-Moll-Messe am 8. September - ein Werk mit "Rückblick-Charakter", wie er sagt.

 Abschied vom Trierer Dom: Ab nächster Woche hat Stephan Rommelspacher seinen Arbeitsplatz in der Leipziger Propsteikirche. Foto: Dommusik Trier

Abschied vom Trierer Dom: Ab nächster Woche hat Stephan Rommelspacher seinen Arbeitsplatz in der Leipziger Propsteikirche. Foto: Dommusik Trier

Trier. Zum 1. September wechselt Domkapellmeister Stephan Rommelspacher an die Leipziger Propsteikirche. Was steht hinter diesem Wechsel? Und wie beurteilt Rommelspacher die Trierer Chorszene, der er 13 Jahre lang angehörte? TV-Mitarbeiter Martin Möller sprach mit dem künftigen Leipziger Kirchenmusiker.Dass ein Trierer Domkapellmeister die Position wechselt, ist recht ungewöhnlich. Was waren die Gründe für Ihren Wechsel nach Leipzig?Stephan Rommelspacher: Mich hat die pulsierende Kulturmetropole Leipzig angezogen. Dort etwas Neues zu probieren, auch noch mal etwas aufzubauen, ist eine spannende Aufgabe. Außerdem fühlt Kirche sich dort noch anders an: Sie ist zwar ärmer, aber vitaler, jünger, engagierter als hier in den alten Bundesländern.Hätte es denn Gründe gegeben, mit der Situation in Trier unzufrieden zu sein?Rommelspacher: Die Leitung einer großen Dommusik bringt extrem viel planerische und administrative Arbeit mit sich, auch der Umbau der Strukturen, den ich hier zu bewerkstelligen hatte. Zwei große Bauprojekte waren damit verbunden: die neue Paulin-Grundschule und das 2012 eingeweihte neue Chorhaus am Dom. Zeitweise war ich mehr Geschäftsführer als Musiker. Die Stelle eines Verwaltungsleiters, wie vergleichbare Dommusiken sie haben, wollte man uns nicht zugestehen. Aber dennoch kann ich sagen: Die Dommusik ist seitens der Bistumsleitung und des Domkapitels von einem großen Wohlwollen getragen, erfährt viel Unterstützung. Dass es im Alltagsgeschäft auch mal zu Reibereien kommt, ist menschlich und normal. Für meinen Wechsel war das nicht ausschlaggebend.Die Einsatzfrequenz des Domchors in den Gottesdiensten ist gesunken. Der Domchor ist kleiner geworden. Auf der anderen Seite wurde eine intensive Jugendförderung aufgebaut. Das alles weist auf eine Umbruchsituation hin. Ist dieser Umbruch eine Krise?Rommelspacher: Als ich im Jahr 2000 kam, lastete der ganze liturgische Dienst allein auf den Schultern des Domchors. Das konnte so nicht bleiben. Wir haben in Trier im Prinzip nur nachgeholt, was an anderen Bischofskirchen schon Jahrzehnte früher vollzogen worden war. Jetzt gibt es auch bei uns eine "Chorfamilie" mit Domchor, Domsingknaben und Mädchenchor. Das wird übrigens nicht nur von unseren Geistlichen, sondern von den vielen Dombesuchern als große Bereicherung empfunden.Ich frage noch einmal nach: Spiegelt sich da vielleicht eine Krise der gesamten geistlichen Chormusik?Rommelspacher: Ich glaube nicht, dass es eine Krise der Musik ist. Es ist eine Krise von Kirche und Gesellschaft. Das Freizeitverhalten der Menschen hat sich deutlich verändert. Und die Abnahme fester Bindungen macht auch vor uns nicht halt.Die Trierer Chöre sind in der Luxemburger Philharmonie praktisch nicht präsent. Das kann ja auch bedeuten: Ein international geprägtes Musikleben braucht die Trierer Chöre nicht.Rommelspacher: Es gibt in Trier tatsächlich ein wenig die Tendenz, sich selbst zu genügen, sein eigenes Ding zu machen, so zumindest bisweilen mein Eindruck. Als Dommusik schielen wir aber nicht auf die Hochkultur in der Philharmonie, die ja weitgehend auch nur "eingekauft" ist. Zur Luxemburger Chorszene haben wir allerdings sehr gute und freundschaftliche Kontakte, etwa zu den Pueri Cantores und zum Kammerchor des Konservatoriums, auch zur Choralschola Misericordias.Wenn Sie eine Zukunftsperspektive entwerfen würden - in welche Richtung muss sich das Trierer Chormusikleben entwickeln?Rommelspacher: Zunächst einmal: Trier muss unbedingt sein Theater und vor allem sein Orchester erhalten, sonst verarmt das Kulturleben der Stadt dramatisch, auch den Chören bräche dann ein wichtiger Partner weg. Unsere Dombläser beispielsweise kommen alle aus dem Philharmonischen Orchester. Und zur Trie rer Chorszene: Sie scheint mir in Relation zur Größe der Stadt ein wenig überdimensioniert und muss sich mittelfristig vielleicht etwas gesundschrumpfen. Denn die Ressourcen sind begrenzt, sowohl was leistungsbereite Chormitglieder als auch was das zunehmend älter werdende Publikum angeht.Sie dirigieren am 8. September im Dom die h-Moll-Messe - Bachs letztes Werk, ein Rückblick auf 35 Jahre Komponieren und so etwas wie ein Vermächtnis. Hat das für Sie Symbolcharakter?Die Aufführung des Bach\'schen Opus ultimum war geplant, lange bevor Leipzig für mich in den Blick kam. Mit ihr erfüllt sich ein Lebenstraum. Und sie bekommt nun tatsächlich ein wenig Rückblick-Charakter, wenn auch "nur" auf dreizehn Jahre als Domkapellmeister in Trier. mö Abschiedsvesper am Samstag, 31. August, um 16 Uhr im Trierer Dom mit dem Trierer Domchor, dem Mädchenchor am Trierer Dom, den Trierer Domsingknaben und dem Dombläserensemble, Orgel: Josef Still, Marcus Adams, Gesamtleitung: Thomas Kiefer, Stephan Rommelspacher.Extra

Stephan Rommelspacher stammt aus Friedrichshafen am Bodensee. Musikalisch aufgewachsen ist er bei den Regensburger Domspatzen unter Domkapellmeister Georg Ratzinger. In Freiburg studierte Rommelspacher Kirchenmusik, Schulmusik und Musikwissenschaft, danach folgte das Orgel-Konzertdiplom bei Michael Radulescu in Wien. Von 1989 bis 2000 war er Münsterkantor in Villingen/Schwarzwald und hatte Orgel-Lehraufträge an den Musikhochschulen Freiburg und Trossingen. Zum 1. Oktober 2000 wurde Rommelspacher als Domkapellmeister an die Hohe Domkirche Trier berufen und zum stellvertretenden Leiter der Bischöflichen Kirchenmusikschule ernannt. Ab 1. September 2013 ist er Kantor an der Katholischen Propsteikirche St. Trinitatis in Leipzig. mö

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