Aus unserem Archiv Tanz-Premiere: Wie „Rituale“ unser Leben prägen

Trier · Mit dem hochaktuellen Thema der Rituale setzen sich Roberto Scafati und sein italienischer Kollege Mauro Astolfi in der neuen Tanztheater-Produktion am Theater Trier.

 Das Tanztheater „Rituale“ hätte im März 2020 im Theater Trier uraufgeführt werden sollen. Doch am Tag der Premiere begann der erste Corona-Lockdown.

Das Tanztheater „Rituale“ hätte im März 2020 im Theater Trier uraufgeführt werden sollen. Doch am Tag der Premiere begann der erste Corona-Lockdown.

Foto: Bettina Stöß/Bettina Stoess

Als eine Reihe sich unaufhörlich wiederholender Rituale stellt sich der Molekularbiologe Djerzinski in Michel Houellebecqs bekanntem Roman „Elementarteilchen“ das Leben vor. Dass es so einfach nicht ist, muss er bald erkennen. Was es mit den Ritualen wirklich auf sich hat, reflektiert jetzt die neue gleichnamige Produktion der Tanzsparte des Trierer Theaters. „Mir geht es darum, zu zeigen, wie sich Rituale auf unser Leben auswirken“, erklärt Ballettdirektor Roberto Scafati.

Tatsächlich bestimmen Rituale in hohem Maß unsere Lebenswirklichkeit. Mit dem morgendlichen Druck auf den Schalter der Kaffeemaschine beginnt der Tag. Mit der allabendlichen Gutenachtgeschichte für die Kinder, dem Zähneputzen und dem Kamillentee oder je nach Geschmack dem Glas Rotwein endet er. Privates wie öffentliches Leben, traurige und freudige Anlässe folgen dem Rhythmus von Ritualen. Das frische Brötchen am Sonntagmorgen gehört dazu ebenso wie das jährliche Feiern des Hochzeitstages, das hochoffizielle Halbmastflaggen als Zeichen der Trauer oder das Küsschen links und rechts auf die Wange zur Begrüßung. Der Ritus regelt auch das religiöse Leben. Er versammelt die Gläubigen zur Feier des Abendmahls  und am Osterfeuer. Gemeinsam ziehen Konfirmanden und Kommunionkinder hinter dem Geistlichen in die Kirche ein. Und selbst der Tanz kommt ursprünglich aus dem religiösen Ritus.

Nicht nur die reale Welt hat ihre Rituale. Längst hat sich der Ritus auch der virtuellen Welt bemächtigt, wie der Medientheoretiker Jean Baudrillard bereits vor Jahren erkannte. Pünktlich sitzt die Fernsehgemeinde allabendlich zur Tagesschau vor dem Bildschirm. Wer „Tatort“-Fans versehentlich mal sonntag­abends angerufen hat, kennt die Macht der Rituale. Selbst Nachrichtensendungen folgen als Inszenierung rituellen Vorgaben. Fakt ist, Rituale geben dem Leben Struktur und sind von hohem Symbolgehalt.  Dabei verbinden sie Menschen, schaffen Orientierung und Gemeinschaft. Allerdings bleiben sie auf ihre Kultur beschränkt. Ein Chinese versteht nicht ohne Erklärung die Rituale eines Europäers und umgekehrt. „Ich will Bewusstsein für die Vielfalt der Rituale schaffen und zeigen, dass sie uns sowohl helfen wie einengen können“, sagt Scafati.

Schließlich erzeugt das rituelle Regelwerk nicht nur Positives.  Schon gar nicht, wenn es nach dem Motto „Same procedure as every year“ (immer dasselbe, Jahr für Jahr) zur sinnentleerten Konvention oder im schlimmsten Fall zur Zwangshandlung verkommt. Die richtige Balance zwischen der rituellen Ordnung und der individuellen Freiheit zu finden, darum gehe es, erklärt Scafati. Angeregt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, haben den Ballettchef und seine Tanzdramaturgin Anna-Luella Zahner zudem die Schrift des in Berlin lebenden koreanischen Philosophen Byung-Chul Han „Das Verschwinden der Rituale“. Globalisierung und Neoliberalismus vernichteten die herkömmlichen Rituale der Kulturen und führten zu Orientierungsverlust und seelischer wie geistiger Unbehaustheit fürchtet Han. „Rituale“ ist eine zweiteilige Produktion, für die Scafati den angesehenen  italienischen Choreografen  Mauro Astolfi gewonnen hat. Neben Scafatis choreografischer Auseinandersetzung mit dem Ritual wird er seine Sicht auf den Ritus präsentieren.

Der in Italien und den USA ausgebildete international arbeitende Künstler gilt als einer der führenden „Stimmen“ im europäischen Tanztheater. Bekannt ist der  Leiter des Spellbound Contemporary Ballets in Rom für seine ausdrucksstarken energetischen Choreografien.

Info: „Rituale“-Premiere und Uraufführung am Samstag, 5. Februar 2022, 19.30 Uhr, Großes Haus.

Karten sind online auf www.theater-trier.de erhältlich, an der Theaterkasse (Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr, Samstag von 10 bis 13 Uhr) via E-Mail an theaterkasse@trier.de sowie unter Telefon 0651/7181818.
Hinweis: Dieser Beitrag aus unserem Archiv ist aufgrund der nun stattfindenden Premiere aktualisiert worden.

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