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198Der großzügige Herrscher mit den leeren Kassen hatte den Untertanen in Montpellier so strenge Steuern auferlegt, dass man vor einem Jahr seinen Palast bei einem Aufstand zerstört und niedergebrannt hatte.Leichtfüßig bestieg Raymond die Bühne.

Der Page reichte ihm die Al-ud, und der Graf verneigte sich vor der Menge, die ihm zujubelte.Stille trat ein. Raymond begann sein Lied von der Königin der Troubadoure, der sein Herz gehörte, der schönsten Domna, die arm und einfach lebe, doch ein großes Herz habe.Obwohl er ein Krieger war, einer, der sich vor keinem Gegner fürchtete, traten Paco zu seiner eigenen Bestürzung Tränen in die Augen. Er hatte viele Sänger gehört, seit er denken konnte. Noch nie aber hatte ihn ein Lied so bewegt wie das des Grafen Raymond.Auch wenn ihr Name im Lied nicht fiel, Graf Raymond sang von der größten Liebe seines Lebens zu Maiorina, der Königin seines Herzens, der Königin der Troubadoure. Die Lanze rutschte Paco aus den Händen. Ob sie das Lied hörte, dort oben, wo sie war? Es würde ihr gefallen. Schade, dass Paco, der Stallmeister, nicht hier war. Auch er würde sofort begreifen, dass das Lied von Maiorina handelte. Und bestätigte es nicht Maiorinas Worte: "Du bist der Sohn des Grafen von Toulouse, Paco. Dir braucht hier in Vallderonca keiner Befehle zu geben. Eines Tages rufst du dem Grafen von Vallderonca die Kommandos zu.""Das gibt es nicht", murmelte Guillhem, "sieh dir die da an." Er wies mit der Hand hinüber auf die Ehrenplätze am Fuß der Tribüne. Neben der Königin Domna Maria von Montpellier und dem Bischof saßen die beiden päpstlichen Legaten, der mit der roten Knollennase und der andere, Pierre de Castelnau."Glaub nur nicht, sie genießen die Musik. Sie spionieren." Guillhem spuckte aus. "Sie sind Blutsauger, sie wollen sein Leben, seinen Besitz, sie wollen ihn vernichten." Der Beifall für den Grafen von Toulouse wollte kein Ende nehmen. Für keinen der bisher aufgetretenen Troubadoure war so gejubelt und geklatscht worden wie für den fast fünfzigjährigen Raymond.Der Herr des Toulousain verneigte sich vor den Zuhörern, trat zurück und musste erneut nach vorne. Schließlich erbarmte er sich, hob die Al-ud und sang eine Zugabe.Es war nicht die Aufregung vor dem ersten Auftritt seit Jahren, die Peire empfand. Noch auf dem Weg nach Fouzilhon war er wie im Fieber gewesen bei dem Gedanken daran, wieder vor all den alten Freunden, sogar vor dem König, zu singen. Jetzt war er erfüllt von einer Gleichgültigkeit, die ihn erschreckte. Was sollte er hier? Sie, die Domna, die einzige Domna, die ihm etwas bedeutete, würde nicht zuhören. Und Kholla war für immer verloren. Regungslos saß er zwischen Oswaldo und Lanfranco und verfolgte das Geschehen auf der Bühne.Er registrierte, dass sehr viel mehr Geistliche als früher auf der Tribüne saßen, Mönche, höhere Würdenträger, all die Angehörigen der christlichen Ritterorden, sogar ein oder zwei Bischöfe hatten sich unter die Zuhörer gemischt. Die Vertreter der Kirche lachten nicht über anzügliche Witze der Troubadoure und Joglare, das war neu. Früher, da erinnerte Peire sich deutlich, hatten selbst Bischöfe applaudiert und geschmunzelt, solange die Scherze sich halbwegs im Rahmen von Courtesia und Mesura bewegten.Peire versuchte zuzuhören, doch seine Gedanken gingen immer wieder zurück zu Domna Leonor, die so sicher war, auf dem richtigen Weg zu sein. So viel hatte er ihr unbedingt sagen wollen. Unglücklicherweise war ihm alles erst später eingefallen, nachdem er sie verlassen hatte. Sie war im Irrtum, nicht weil die katholische Kirche das sagte. Nein, das Leben selbst war gegen die Häresie der Menschen im schwarzen Gewand, die sich als "Vollkommene" bezeichneten, weil sie nur noch Gemüse, Brot und Wasser zu sich nahmen. Sie verschmähten die Zeugung und alle gezeugten Produkte: Eier, Käse, Milch, Fleisch. Es war das Leben selbst, das sie ablehnten. Leonor lehrte nun auch diese neue Botschaft der Lebensfeindlichkeit. All die Unwissenden und Ungebildeten auf dem Land und in den Städten, die sich den Predigern anschlossen, taten es zunächst aus kindlicher Bewunderung für die barfüßigen Asketen. Glossar: Mesura:"Mäßigung", "Beherrschung", höfische Tugend, vgl. NoblessaFortsetzung folgt.Das Buch "Der Sänger und die Ketzerin" ist in allen TV-Pressecentern für 9.90 Euro erhältlich.

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