Rossini in der Unterwelt

TRIER. In einen Boxclub im Chicagoer Gangstermilieu der wilden 20er Jahre verlegt das Theater Rossinis komische Oper "Die Italienerin in Algier". Fazit nach dem Premierenfight: Nicht jeder Punch war ein Volltreffer, aber unterm Strich gab es einen klaren Punktsieg für die Trierer Neuproduktion.

Eigentlich ist sie ganz sympathisch, die Gangsterwelt rund um den Boxclub "Algier". Man trinkt Whisky aus der Kaffeetasse (schließlich herrscht Prohibition), verzockt bündelweise Geld, das per Baggerschaufel ins Haus flattert, ballert mit Platzpatronen in der Gegend herum - und versucht, sich gegenseitig nach allen Regeln der Kunst auszutricksen. Aber so richtig böse ist keiner. Das ist gar nicht weit weg vom Original-Rossini. Der hat sich für die "Italienerin in Algier" mit Afrika gleichfalls ein exotisches Milieu ausgesucht, lässt dort allerlei finstere Figuren auftreten, die aber nie ernsthaft bedrohlich wirken. Macho Mustafa wird zum MafiosoStreifenanzüge und Boxhandschuhe statt Pluderhosen und Türkensäbel, Macho Mustafa ein Mafioso statt des orientalischen Herrschers, Strippenzieherin Isabella eine resolute Heilsarmistin: Regisseur Rupert Lummers Deutung ermöglicht eine kurzweilige, spaßige Sicht auf Rossinis Werk. Die neue Librettofassung, die er mit Esther Ferrier geschrieben hat, ist peppig, frech und gespickt mit anspielungsreichen Rezitativ-Texten. Man darf bei Rossinis Buffa-Opern sicher keine übermäßigen Ansprüche an die Stringenz des Handlungsablaufs stellen. Dennoch ist es schade, dass Lummers Inszenierung insgesamt zu wenig Wert auf einen zwingenden Aufbau der Handlungsstränge legt. Die Trierer "Italienerin" wirkt bisweilen wie ein Film, dem beim Schneiden bestimmte Szenen abhanden gekommen sind und bei dem am Ende niemand mehr genau weiß, warum wem was eigentlich passiert. Solcherlei Beliebigkeit reduziert die Treffgenauigkeit der Gags. Ein paar gestochen scharfe Geraden und platzierte Aufwärtshaken hätten dem Unterhaltungswert des Abends nicht geschadet. Um im Bild zu bleiben: Etwas mehr Muhammad Ali und etwas weniger George Foreman wäre angesagt.Dennoch muss einen das nicht stören. Man kann auch so seinen Spaß haben, wenn ein spielfreudiges, sorgfältig trainiertes Trierer Ensemble alle Register zieht, befeuert von einem präzise arbeitenden Orchester. Dirigent Franz Brochhagen lässt sich von Rossinis Brillanz nicht dazu verführen, einen "Wer-ist-der-Schnellste"-Wettbewerb zwischen Graben und Bühne zu veranstalten. Da wird zupackend musiziert, aber nicht hastig, exakt, aber nicht pedantisch, mit Bedacht, aber ohne Zeigefinger. Das ermöglicht etwa Eric Rieger einen tollen Einstieg bei seiner ersten Trierer Hauptrolle. Der junge Amerikaner meistert die vertrackten Koloraturen des Lindoro mit seinem nicht übermäßig voluminösen, aber fein timbrierten Tenor ohne Fehl und Tadel. Da ist Belcanto-Stilgefühl zu spüren, Gewandtheit und jede Menge Talent - auch wenn die Anstrengung beim "Erklimmen" der hohen Töne manchmal noch deutlich hörbar ist. Übrigens: Gibt es im Trierer Theater keinen, der Sänger davor schützt, vor der Schlusspassage einer barbarisch schweren Arie noch schnell einen Kopfstand (!) machen zu müssen? Zum Schluss bringt der Maestro alles in OrdnungSouverän Eva-Maria Günschmann als Isabella. Rossinis Belcanto ist nicht ihr Spezialfach, aber sie überzeugt mit kluger Krafteinteilung und technischer Finesse in einer Rolle, die freilich von der Regie eher konfus angelegt ist.Da hat Laszlo Lukacs mit dem Mafioso Mustafa den besseren Part erwischt, den er mit Spaß an der Freude, augenzwinkernder Ironie und riesiger Präsenz nach allen Regeln der Kunst ausspielt. Sängerisch ist die Rolle mit den unzähligen schnellen Windungen und Wendungen für den inzwischen dramatischen Bariton schlicht außer Reichweite - aber das kann man sich in einem Stadttheater mit seinem kleinen Ensemble nicht immer aussuchen.Die weiteren Akteure (Nico Wouterse, auch als Multi-Instrumentalist hörenswert, Annette Johansson, Antonia Lutz, Andreas Scheel) überzeugen ebenso wie der auch darstellerisch stark eingebundene Chor und Extra-Chor. Ein Riesenspaß, wenn auch nicht immer vorteilhaft für die Träger: Die Kostüme von Peter Thibor Tanner. Das Baustellen-Atmosphäre kreierende Bühnenbild von Stephanie Hacker hinterlässt gemischte Gefühle, nicht zuletzt, weil es viel zu oft an allen Ecken rumpelt und kracht.Der clevere Regisseur aber nimmt allen potenziellen Kritikern mit einem genial-selbstironischen Finale den Wind aus den Segeln: Kaum drohen Musik und Handlung am Ende in Kakophonie und Chaos unterzugehen, lässt er Meister Rossini persönlich überlebensgroß vom Himmel fahren und die Sache wieder richten. "Vivat Rossini", jubelt das Ensemble, und das Publikum geizt nicht mit Beifall.Die nächsten Aufführungen: 15., 18., 22. und 27. Februar, Karten: 0651/718 1818 .

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