Ruhe bewahren in Zeiten des Sturms

Trier · Adréana Kraschewski mit ihrer ersten Traviata, Bodo Korsigs Debüt als Bühnenbildner, Sven Grützmacher mit einem neuen Musical, Horst Ruprechts Regie-Comeback, Falco als Tanztheater-Held: Damit lockt die Spielzeit 2012/13. Dazu kommen viele "Außer-Haus-Angebote". Insgesamt setzt Intendant Gerhard Weber eher auf Bewährtes als auf Risiko.

 Verabschiedet sich 2013 nach unzähligen Rollen als Galileo Galilei von seinem Trierer Publikum: Peter Singer. Montage: Birgit Keiser, Fotos: Friedemann Vetter

Verabschiedet sich 2013 nach unzähligen Rollen als Galileo Galilei von seinem Trierer Publikum: Peter Singer. Montage: Birgit Keiser, Fotos: Friedemann Vetter

Trier. Wenn das Publikum nicht mehr ganz so leichtfüßig ins Theater strömt, geht das Theater eben zu den Leuten. Diese - schlüssige - Devise scheint als unausgesprochenes Leitmotiv neben dem offiziellen Spielzeit-Motto "lebens.wert" zu stehen.
Statt des klassischen Theaterfestes im Haus gibt es gleich drei Theaterspektakel-Tage auf dem Kornmarkt (9., 15., 16. September), den "Sommernachtstraum" als Gastspiel im Posthof am Kornmarkt (ab 23. August) und wieder einmal eine Jugend-Produktion im Szeneclub Forum.
Tanztheater-Gastspiel in China


Das Musical "Evita" wandert schon vor seiner Trier-Premiere durch die Lande nach Losheim, Monschau und Luxemburg, mit Brecht gastiert man in Esch/Alzette. Und der Chagall-Abend von Tanztheater-Chef Sven Grützmacher macht sich sogar im fernen China auf Publikumssuche - man gastiert schon im Mai in Triers Partnerstadt Xiamen, dafür gibt es im Gegenzug am 15. und 16. September China-Oper in Trier.
Dass die externen Gastspiele das Haus kein Geld kosten, sondern - im Gegenteil - einen Beitrag zur Finanzierung der Produktionen leisten sollen, das betonen Intendant Gerhard Weber und Kulturdezernent Thomas Egger ausdrücklich. Wie überhaupt die schwierige Finanzlage des Hauses ihre Spuren auch im Spielplan hinterlässt.
Gefragt ist zunächst einmal, was eine volle Bude verspricht. Das Lloyd-Webber-Schmankerl "Evita" beispielsweise, das an den Publikumserfolg der "West Side Story" anknüpfen soll - nicht nur, weil Sven Grützmacher wieder spartenübergreifend inszeniert (Trier-Premiere: 31. August). "La Traviata" dürfte ab dem 13. Oktober für ein volles Haus sorgen, wenn Theatermasken-Preisträgerin Adréana Kraschewski als Gast ihr Rollendebüt feiert und Birgit Scherzers Regie einen neuen Blick auf Verdis altes Opern-Schlachtross verspricht.
Für Kálmáns Operette "Gräfin Mariza" (26. Januar) liefert Klaus-Dieter Köhler wieder den originellen Zugriff. Erstmals steht mit Smetanas "Verkaufter Braut" (1. Juni 2013) eine Opern-Kooperation mit Koblenz auf der Agenda. Das ist bislang die einzige, noch recht magere Reaktion auf die Überlegungen der Oberbürgermeister, die beiden Mosel-Theaterhäuser stärker zusammenzuführen. Man werde "demnächst intensivere Gespräche führen", kündigte der Kulturdezernent vielsagend an.
Im Schauspiel steht der traditionelle Werke-Kanon im Mittelpunkt: Brechts "Galilei" etwa, (22. September), mit dem der beliebte Regisseur Horst Ruprecht zurückkehrt - eine Wunschrolle von Peter Singer vor dem Abschied in den Ruhestand. Falladas Sozialdrama "Kleiner Mann, was nun" kommt in der legendären Revue-Fassung von Peter Zadek (2. März 2013), ebenso von Intendant Weber inszeniert wie Lessings unverwüstliche "Minna von Barnhelm" (22. Juni 2013).
Zeitgenössisches und Sperriges im Großen Haus bleibt die Ausnahme - wohl ein Reflex auf mangelnden Zuschauer-Zuspruch. Immerhin gibt es mit dem Opern-Doppelabend aus Orffs "Die Kluge" und Ravels "Spanischer Stunde" ab 30. März 2013 einen Klassiker des 20. Jahrhunderts, und mit der Mobbing-Komödie "Bandscheibenvorfall" von Ingrid Lausund (22. Dezember) ein aktuelles Stück.
Die Fahne der Moderne hält das Tanztheater hoch, mit einem uraufgeführten Grützmacher-Tanzstück über das "Narrenschiff" von Sebastian Brant (3. November) und einem Falco-Tanzabend von Amy Share (20. April 2013), mit Live-Musik. Für das Narrenschiff konnte das Theater mit Bodo Korsig einen der spannendsten und erfolgreichsten bildenden Künstler aus Trier als Ausstatter gewinnen.Meinung

Pragmatismus statt Überbau
Allen aktuellen Problemen zum Trotz arbeitet das Trierer Theater unaufgeregt weiter. Das neue Programm setzt überwiegend auf Populäres, ohne populistisch zu wirken. Ein klarer roter Faden, ein präzise formuliertes Motto fehlen - verständlich, denn auf intellektuellen Überbau ist das Publikum in den letzten Jahren in der Regel überhaupt nicht angesprungen. Diesmal will man offenkundig jegliche Überfrachtung vermeiden. Dass man verstärkt auf Gastspiel-Tour geht, könnte Teil einer klugen Überlebensstrategie werden. Sofern die Rechnung, dass man damit Geld verdient, auch aufgeht. Sich nicht im Haus vergraben, auf die Straßen, Plätze und Bühnen gehen, Farbe bekennen, um das Publikum kämpfen: Das sind erste Schritte in die richtige Richtung. Intensivere, mit echten Einsparungen verbundene Kooperationen wären ein zweiter. Eine tragfähige Langfrist-Vision ein dritter. Und das alles neben dem aktuellen Programm. Kein leichter Job. d.lintz@volksfreund.deExtra

Weitere Stücke der Saison im Großen Haus: Hänsel und Gretel, Märchenoper von Engelbert Humperdinck, 1. Dezember. Aladin und die Wunderlampe, Kinderstück von Matthias Faltz, 15. November. Die Katze auf dem heißen Blechdach, Schauspiel von Tennessee Williams, 11. Mai 2013. Neuproduktion außer Haus: Berlin Calling, nach dem Film von Hannes Stöhr aus der Techno-Szene, im Club Forum. Neuproduktionen im Studio: Alle sieben Wellen - die Fortsetzung des Erfolgsstücks Gut gegen Nordwind. Nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Glattauer, ab Oktober. Der Priestermacher, aktuelles Stück von Bill C. Davis, in Kooperation mit dem Bistum Trier, auch für Schulen. Ab Dezember. Winterreise, Szenen von Elfriede Jelinek, inspiriert von Schuberts Liederzyklus. Regie: Judith Kriebel, zuletzt erfolgreich mit Mutter Courage. Wiederaufnahmen: Josef und Maria von Peter Turrini kommen auch 2012 zur Vorweihnachtszeit ins Modehaus Marx, Gut gegen Nordwind wird im Herbst wieder aufgenommen, Michael Ophelders\\' Kontrabass geht weiter. Personalien: Hans-Peter Leu geht 2012, Peter Singer 2013 in Ruhestand. Die begabten jungen Sänger Claudia Denise Beck und Carlos Aguirre verlassen das Haus wegen Fachwechsels. DiL

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