Scharf unter der Dusche

METTLACH. In den 80ern heuerte Villeroy & Boch den im Januar dieses Jahres verstorbenen Akt-Fotografen Helmut Newton für eine Sanitär-Werbekampagne an. Ein geradezu unerhörtes Unterfangen damals. Wie gut Newtons Arbeit war, zeigt nun 20 Jahre später eine Ausstellung in Mettlach.

Ein Kulturschock war's. Ein für die damalige Zeit unerhört gewagtes Unterfangen, schier unvereinbar mit dem Wertekodex des bis dato eher konservativen Hauses: Sex & Crime bei Villeroy & Boch? Prompt brach ein Generationenkonflikt in der Führungsriege aus, in den sich dann auch noch die Frauen der Aufsichtsräte einmischen sollten. Die "keramische Harmonie" war dahin. Grund der Aufregung: Die 1986 mit der Werbe-Kampagne für die neue Badezimmer-Linie beauftragte Agentur hatte ausgerechnet Helmut Newton als Fotografen vorgeschlagen. Einen der wegen seiner umstrittenen Akt-Porträts langbeiniger Damen am kontroversesten diskutierten Edel-Knipser des letzten Jahrhunderts. "Sexistisch!", hetzte Alice Schwarzer, Chorleiterin aller Birkenstock-bewehrten Feministinnen; "Anbetungswürdig!" ging die Männerwelt vor Newtons kühl und selbstbewusst in die Kamera blickenden Amazonen in die Knie.Geschichten aus dem Nähkästchen

Nun, die innovativen Geister setzten sich durch, der Reklamefeldzug fand statt und wurde prompt zur "Kampagne des Jahres gewählt" - erfolgreich nicht zuletzt, weil hier die Werbung selbst zum umstrittenen Objekt medialer Bespiegelung wurde. Jetzt sind die großformatigen Aufnahmen unter dem Titel "Der Zeit voraus - Helmut Newton und Villeroy & Boch" im Rahmen der ersten Sonderausstellung im Keramikmuseum Mettlach zu besichtigen. Zur Eröffnung gab der Vorstandsvorsitzende Wendelin von Boch aufschlussreiche und ebenso amüsante Einblicke in die Grabenkämpfe hinter den Kulissen des Hauses, als das "Sex sells!" der jungen Wilden den Triumph der Innovation einläutete. Deren Abhängigkeit vom rechten Zeitpunkt, weil sie - erst mal zum Gemeingut avanciert - hinfällig wird, illustrierte das nicht weniger heitere Nähkästchen, pardon: Badewannengeflüster, von Klaus Lüders, dem Kopf der verantwortlichen Agentur. Lüders unternahm einen Zeitsprung in die puritanischen 80er, als die Türen zu den "Nasszellen" noch verschämt verschlossen blieben. Wie verkauft man da einen so banalen Artikel wie Sanitär? Ganz einfach: Möglichst aufregend und erotisch aufgeladen. Gegen nackte Haut im Bad konnte doch eigentlich niemand was einwenden, oder? Man konnte. Weil die Ästhetisierung einer Revolutionierung der Werbefotografie gleichkam, wie Wiebke Ratzeburg, Leiterin des Museums für Fotografie in Braunschweig, erläuterte: Als der Waschtisch zwischen weiblichen Schenkeln den Geliebten ersetzte, war der empörende Fetischcharakter der modernen Warenwelt perfekt. Desgleichen, als eine Dame in Strapsen Zeitung lesend das stille Örtchen zum öffentlichen Aufreger machte und dies mit einem ironischen "Manchen Menschen ist Kultur ein Bedürfnis" entschuldigte. Doch spätestens, als zerbrochene Spiegel und auf den Fliesen herumliegende Pistolen Verbrechen andeuteten, war auch für den Auftraggeber das erträgliche Maß an Provokation überschritten - man trennte sich. Und kann im Rückblick befreit schmunzeln. "Der Zeit voraus - Helmut Newton und Villeroy & Boch". Bis 26. September im Mettlacher Keramikmuseum.

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