Philosophie Scharfer Denker – Tagung über den Philosophen Constantin Brunner in der Eifel
Jünkerath/Stadtkyll · In der Eifel wird ein Buch über den zu Unrecht vergessenen Philosophen Constantin Brunner vorgestellt. Mitherausgeber: der in Trier geborene Autor Robert Zimmer.
Selten ist ein Philosoph wohl so zwischen alle Stühle und dann gleich auch in Vergessenheit geraten wie Constantin Brunner. Constantin wer? Eben: Kaum jemand kennt den Mann, der 1862 als Arjeh Yehuda Wertheimer in Altona geboren wurde, später unter dem Pseudonym Constantin Brunner zu veröffentlichen begann, den Namen beibehielt und zu Beginn des 20. Jahrhunderts tatsächlich ein populärer und, im Vergleich zu vielen anderen Philosophen, auch für den Nichtstudierten gut lesbarer Denker war. „Was ist Alter?“, fragt er zum Beispiel in einem Essay. Antwort: „Geistige Interessenlosigkeit.“
Gut gesagt, wie vieles in Brunners Schriften, aber leider heute kaum noch gelesen. Dabei hatte er prominente Gesprächspartner und Anhänger, zu denen Walter Rathenau und Martin Buber, Yehudi Menuhin und Rose Ausländer zählten: Man kann das alles nachlesen in einer Kurzbiografie, die Robert Zimmer, Philosoph, Essayist, Verfasser zahlreicher Bücher und Schriften und gebürtiger Trierer (der TV berichtete) kürzlich veröffentlicht hat (siehe Info).
Dass heute fast niemand Brunner noch kennt, hat mehrere Ursachen: Als Jude musste er der Naziherrschaft entfliehen, er emigrierte 1933 in die Niederlande, wo er 1937 starb. Er besaß nie einen Lehrstuhl, dank dessen er Schüler hätte heranziehen und eine Denktradition hätte begründen können. Stattdessen zog er sich schon früh in ein Leben als Privatgelehrter zurück. Da saß er, dachte nach, schrieb auf und, man darf es wohl sagen, dürfte auch ein wenig verkauzt sein.
Und er war ein ausgewiesener Antizionist: Brunner vertrat die Überzeugung, dass es keinen israelischen Staat brauche – er wünschte sich stattdessen, dass sich die Juden in ihren unterschiedlichen Heimatländern assimilierten, normale und allseits akzeptierte Mitglieder der Gesellschaft würden. Ein Traum, fast schon eine Utopie, die sich angesichts des immer wieder neu und hässlich auflodernden Antisemitismus nicht verwirklichen lassen wird. Und natürlich eine Position, mit der man sich nicht überall beliebt machte. Dieses Denken aber war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Schrecken der Shoah erst recht nicht mehrheitsfähig und verhinderte, dass Brunner reüssieren und zu neuer, wenn auch postumer Popularität hätte gelangen können.
Dabei hat er Dinge gedacht und geschrieben, die dauerhaft gelten und von geistiger Schärfe zeugen: „Was ist Antisemitismus oder Judenhass?“, fragt Brunner. Es sei nichts weniger als „den Egoismus, den man bei sich selbst niemals, wohl aber bei andern findet, für gewöhnlich aber nur einzelnen Menschen zum Vorwurf macht –, diesen Egoismus bei den Juden entdecken, jüdisch nennen und das egoistische Prinzip der Menschen in den Juden hassen.“
Robert Zimmer ergänzt das um ein weiteres Brunner-Zitat: „Judenhass ist Menschenhass.“ Für Brunner, sagt er, „ging es hierbei nicht nur um Juden, sondern um ein Problem der allgemeinen Menschlichkeit. Antisemitsmus ist für ihn ein Beispiel dafür, wie man den Egoismus verabsolutieren und sich von der Basis der allgemeinen Mitmenschlichkeit entfernen kann.“
Diesen Mann der Vergessenheit zu entreißen: Zwei Brunner-Stiftungen haben sich der Aufgabe gestellt, eine deutsche mit Sitz in Hamburg und eine niederländische in Den Haag. Tatsächlich sind sie längst ein gemeinsam agierender Verein, aufgrund des unterschiedlichen Stiftungsrechts in beiden Ländern werden sie aber als getrennte Institutionen aufrechterhalten. Irgendwie passt das auch zu einer weiteren zentralen Aussage der Brunner-Philosophie: Dass sich die Menschen in ihrer „relativen“ Weltwahrnehmung als getrennte Individuen sehen, in Wahrheit aber mit allen Wesen in Einheit verbunden sind. Das, sagt Robert Zimmer, „verbindet ihn auch mit östlichen Weisheitslehren. Wenn wir das richtig denken, dann handeln wir und leben auch anders – nämlich dem anderen Menschen und allen Wesen zugewandt.“
Im vorigen Frühling trafen sich die Stiftungen zu ihrer Jahreskonferenz in Jünkerath und Stadtkyll. Was auch damit zu tun hat, dass Robert Zimmer einen zweiten Wohnsitz in Stadtkyll hat. Und im Oberen Kylltal gefiel es allen dann so gut, dass sie auch dieses Jahr wieder in der Eifel tagen werden, am zweiten Maiwochenende.
Und diesmal haben sie ein neues Buch dabei, das am Sonntag, 12. Mai, 11 Uhr, im Jünkerather Hostel an der Kyll von Ulrike Erb-May (Bahnhofstraße 32) präsentiert wird – dort befindet sich auch alles, was es an Büchern von Constantin Brunner noch gibt.
Das neue Werk ist ein Brunner-Lesebuch und umfasst einige seiner wichtigsten Texte. Die Herausgeber sind Zimmer und der Stiftungsvorsitzende Jürgen Stenzel aus Göttingen. Titel: „Was du nicht richtig denkst, musst du verkehrt leben“ – auch das, natürlich, ein Brunner-Diktum.
Jürgen Stenzel und Robert Zimmer stellen das Buch, zum Finale der Jahrestagung, bei einer Matinee in Jünkerath vor, führen kurz in Constantin Brunners Werk ein und würden sich über Besucher freuen. Das Lesebuch und die Kurzbiografie sind an diesem Tag in Jünkerath erhältlich.
Jeder, der sich dafür interessiert, ist eingeladen. Der Eintritt ist frei.
Einen weiteren Artikel, der die Aktualität von Brunners Philosophie behandelt, gibt es hier.