Scherl und Meistermann: Der Streit um eine Ausstellung bringt Wittlich überregional in die Negativ-Schlagzeilen

Das Städtchen Wittlich steht seit drei Jahren im Fokus eines erbitterten Kulturkampfs. Vordergründig geht es um eine Ausstellung, aber dahinter verbergen sich persönliche Konflikte, unterschiedliche Kultur-Begriffe und verschiedene Vorstellungen von Vergangenheitsbewältigung. Die Schlachtordnung ist unübersichtlich, der Flurschaden ist groß, die Ereignisse könnten einem Thriller entstammen.

Wittlich. Normalerweise vermerkt die Presseabteilung einer Kleinstadt auf dem Land jede Erwähnung in der überregionalen Presse, im Radio oder Fernsehen mit Freude. Das dürfte den Wittlichern derzeit anders gehen. Ob der SWR seine Kameras und Mikrofone aufstellt, der Kölner Stadtanzeiger seine Reporter losschickt oder gar das ferne Solinger Tageblatt einen Blick in die Eifel wirft: Überall schimmert ein (Zerr-)Bild der 18 000-Einwohner-Kommune als banausenhaftes Provinzkaff durch.

Es geht, jedenfalls auf den ersten Blick, um eine Ausstellung. Der regional bekannte Wittlicher Künstler Hanns Scherl soll zum 100. Geburtstag im alten Rathaus, das auch als Meistermann-Museum firmiert, eine große Werkschau erhalten. Der Haken: Der vor Ort wegen seiner unterhaltsamen Werke im öffentlichen Raum überaus beliebte Scherl war in jungen Jahren NSDAP-Mitglied und ein von den Nazis prämierter Künstler.

Meistermann hingegen wurde in der NS-Zeit als "entarteter Künstler" verfemt. Seine Erben haben angesichts der pikanten Konstellation angekündigt, dem Museum den Namen Meistermann zu entziehen, wenn dort Scherl ausgestellt wird. Das dürfte, wenn es tatsächlich so weit kommt, für bundesweite Wallung und Negativ-Schlagzeilen sorgen.

Derweil tut ein Teil der Wittlicher via Leserbrief oder Internet-Blog kund, dass man Meistermann keine Träne nachweinen würde, während andere heftigst über den vermeintlichen Versuch schimpfen, Scherls Vergangenheit "auf dem Rücken von Meistermann reinzuwaschen", wie etwa der Förderverein des Museums befürchtet.

Die harschen, oft ins Irrationale abgleitenden Töne auf beiden Seiten haben mit einem seit Jahren schwelenden Streit zu tun, der die Wittlicher Kulturszene in zwei unversöhnliche Lager teilt.

Der einstige Wittlicher Bürgermeister Helmut Hagedorn, ein höchst kulturbeflissenes Stadtoberhaupt, hatte zunächst unter großem Jubel den Meistermann-Nachlass, den auch größere Städte gerne für sich reklamiert hätten, in die Eifel geholt (siehe Chronologie). Später holte er dann auch mit dem Meistermann-Enkel Justinus Maria Calleen den passenden Nachlassverwalter, der parallel als Amtsleiter auch die gesamte Wittlicher Kultur managen sollte.

Aber kurz nach der Personalie wählten die Wittlicher Hagedorn ab, und fortan musste der ambitionierte Calleen in einem weniger kulturaffinen Ambiente über die Runden kommen. Es knirschte an allen Ecken und Enden, die Stadt spaltete sich in Fans der von Calleen propagierten Hochkultur und Verfechter eines eher heimatverbundenen Kulturbegriffs.

Die Chose eskalierte, als die örtliche CDU in recht ungewöhnlicher Vorgehensweise - normalerweise halten sich Parteien aus so etwas heraus - einen Fünfjahres-Plan für Ausstellungen beantragte - samt Künstlern, Terminen und Orten. Darunter auch die besagte Scherl-Ausstellung, an der sich der Ärger entzündete.

Zunächst wurde in Frage gestellt, ob Scherl überhaupt künstlerisch ernst genommen werden könne. Angesehene Gutachter stuften sein Werk als "flach und spannungslos" und "ohne hohen künstlerischen Rang" ein. Das brachte nun die Scherl-Verehrer auf die Palme, die Kulturamtschef Calleen als Drahtzieher ausgemacht hatten und persönlich massiv gegen ihn vom Leder zogen. Dann stand auf einmal Scherls Nazi-Vergangenheit im Blickpunkt, was von der Scherl-Fraktion als bösartige Diffamierung abgetan wurde, obwohl sich etwa die NSDAP-Mitgliedschaft gar nicht leugnen ließ.

Der Kultur-Kampf schwappte über in den Museums-Förderverein "Der schwebende Punkt", wo die Calleen-Fraktion den Vorsitzenden Albert Klein abservierte. Klein wiederum, mächtiger CDU-Politiker und Beigeordneter, holte zum finalen Schlag aus: Im Stadtrat wurde im Rahmen der Haushaltsberatungen die Calleen-Stelle kurzerhand gestrichen - ein beispielloser Akt, über den bis heute vor Arbeitsgerichten gestritten wird.

Nun brachen auch die letzten Dämme. Calleen musste sich in Leserbriefen als "eitel, selbstgefällig und kleinkariert" titulieren lassen, im Gegenzug polterten seine Befürworter über die "biedere Schweine-Kunst" Scherls. Der greise Bildhauer Alfred Hrdlicka vermeinte von Wien aus braune "Blockwarte der Kunst" auszumachen, die Verwaltung trat gegen den rausgeworfenen Amtsleiter nach, indem sie feststellte, sein Abgang habe sich in keiner Weise bei der Arbeit bemerkbar gemacht. Auf Außenstehende wirkte die Debatte zunehmend so, als hätten alle Beteiligten Maß und Verstand verloren.

Mittendrin gab es auch noch die Kommunalwahl, und seither muss sich der neue Bürgermeister Joachim Rodenkirch mit dem geerbten Problem herumschlagen. Und die Stunde der Entscheidung naht: Für heute ist ein Gespräch mit dem Vertreter der Meistermann-Erben angesetzt, von dem sich die Verwaltung "Klarheit erhofft". Bis dahin zieht man es vor, auf weitere Äußerungen zu verzichten.

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