Literatur Schlicht beeindruckend

Ferdinand von Schirach kennt sie alle, die Mörder, die Diebe, die Bösen, die Unschuldigen, die Leidenden. Schon in seinen bisherigen Büchern hat er seine Leser in die Gerichtssäle mitgenommen. Dass es nicht immer dem eigenen Bauchgefühl entsprechend „gerechte“ Urteile sind, die dort gefällt werden, ist nur eine Erkenntnis, die man aus seinen Geschichten zieht.

 Strafe von Ferdinand Schirach

Strafe von Ferdinand Schirach

Foto: TV/privat

Nach seinen drei Büchern „Verbrechen“, „Schuld“ und „Tabu“ ist nun sein neuer Erzählband „Strafe“ erschienen. Der ehemalige Strafverteidiger beschreibt darin zwölf Schicksale der unterschiedlichsten Menschen. So wie etwa das von der Mutter, die ihr Baby getötet haben soll und dafür verurteilt wird. In Wirklichkeit ist ihr Mann der Täter. Doch da er vorbestraft ist, nimmt sie die Schuld auf sich. Eine Lüge, die sie später bitter bereut. Nüchtern, fast wie der Auszug einer Akte lesen sich die Texte. Und doch stockt einem der Atem, berührt der Autor trotz oder vielleicht gerade wegen seines reduzierten Schreibstils. Er hält sich zurück, lässt die Fakten sprechen.

Und so hat man Mitgefühl mit der Mutter, die auf brutalste Weise ihr Kind verliert und dafür im Gefängnis eine Strafe verbüßt, die ihrem Mann zusteht. Man kann verstehen, warum sie ihm, der sie nie im Gefängnis besuchen kam, einen Schubs gibt, so dass er von der Leiter auf dem Balkon vier Stockwerke tief stürzt. Ist sie ein böser Mensch?

Teils grausam und zugleich fesselnd sind die Geschichten, die von Schirach aufschreibt. Nie fällt er ein Urteil über die Menschen, deren Fälle er schildert. Das überlässt er seinen Lesern. Die Entscheidung, ob ein Mensch rechtens gehandelt hat, fällt nicht leicht. Seine Bücher regen zum Nachdenken an über Gerechtigkeit und unsere Rechtsprechung. Und sie machen deutlich, dass es nicht immer eine einzige Wahrheit gibt.

Stefanie
Glandien

Ferdinand von Schirach, Strafe, Luchterhand Verlag, 192 Seiten, 18 Euro

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