Schmerzhafte Geburt, ansehnliches Kind

Ein wiederentdecktes Opern-Meisterwerk, ein herausragendes Gast-Schauspiel, ein profiliertes Konzert in Gala-Besetzung, ein Schuss Prominenz und ein aufgepepptes Rahmenprogramm: Damit wollen die Trierer Antikenfestspiele aus ihrem Tief heraus.

Trier. Noch vor zwei Wochen im Kulturausschuss hatte es schlecht ausgesehen für die Festspiele 2010: Offene Besetzungsfragen, Finanzierungslücken, Unklarheiten. Allein 100 000 Euro fehlten für das spektakuläre Wunsch-Gastspiel von Deutschlands Star-Regisseur Michael Thalheimer und seiner bundesweit gefeierten Frankfurter Doppel-Schauspielproduktion Ödipus/Antigone. Und für die extrem anspruchsvollen Haupt-Partien der Opern-Rarität "Nerone" von Arrigo Boito gab es noch keine Besetzung.

Gestern nun konnten ein gut gelaunter Intendant Gerhard Weber und ein überschwänglicher Kulturdezernent Ulrich Holkenbrink ("Das Feuer von Nerone soll einen Flächenbrand entfachen") doch noch Vollzug melden, sogar mit einigen Überraschungen.

Dazu zählt, dass Thalheimers Schauspiel nun doch kommt, "dank eines Zusatz-Sponsors" wie Holkenbrink verriet. Im regulären Budget von gut einer Million Euro (etwa zur Hälfte öffentliche Mittel, plus Sponsoren- und Eintrittsgelder) wäre das nicht drin gewesen.

Die große Eigenproduktion "Nerone" zeigt eine Oper um den römischen Kaiser Nero. Sie wurde seit Jahrzehnten nicht mehr szenisch aufgeführt. Die Musik bewegt sich zwischen Verdi und Wagner und gilt als ebenso schön wie eindrucksvoll. Mit Gianluca Zampieri und Rachael Tovey übernehmen zwei Solisten die Hauptrollen, die gerade dabei sind, sich in der internationalen Opernwelt zu etablieren. Regisseurin Andrea Schwalbach hat schon an großen Häusern gearbeitet, aber eher als Spezialistin für leichte Muse und Zeitgenössisches.

Mächtig an Profil gewonnen hat das traditionelle Orchesterkonzert: Die Klangkörper aus Trier und Metz werden gemeinsam musizieren, unter der Leitung von Victor Puhl, der auch die Oper betreut. Da wird der Trierer Generalmusikdirektor zum Festspiel-Akkord-Arbeiter. Dafür darf er mit dem "Mosella-Oratorium" des Franzosen Pierre Thilloy ein Riesen-Werk uraufführen, gekoppelt mit Beethovens Neunter, Mammut-Chorbesetzung inklusive.

Das zuletzt darbende Festspiel-Symposium soll aufgepeppt und ins Landesmuseum verlegt werden. Kommunizieren, philosophieren, genießen, so lautet die Devise zum Thema "Nero als Künstler?". Das Schauspiel-Ensemble steuert Platons "Gastmahl"-Dialog bei. Zu den Begleit-Veranstaltungen gehört auch ein Schauspiel-Projekt zum Thema Heimatlosigkeit in Zusammenarbeit mit dem Bürgerhaus Trier-Nord und Bürgern des Stadtteils.

Für Promi-Glanz sorgt die szenische Lesung der Schauspielerin Corinna Harfouch zu antiken Frauengestalten.

Alles Wichtige in Kürze:

Termine

Nerone, Oper von Arrigo Boito, am 10., 12., 14., 16. und 18. Juli im Amphitheater.

Ödipus/Antigone, Schauspiel von Sophokles, mit dem "schauspiel frankfurt", am 26., 27. Juni, 3., 4. Juli, Amphitheater.

Festspielkonzert, Orchestre de Lorraine, Metz und Trierer Philharmoniker, Leitung Victor Puhl, am 1. Juli, Amphitheater.

Fragmente der Liebe, MedeaElektraPhädra, szenische Lesung mit Corinna Harfouch, DJ Shaban, 9. Juli, Amphitheater.

Symposium "Nero als Künstler", mit der Uni Trier und gastronomischer Betreuung, 25. Juni, Landesmuseum.

Die Äneis, Theaterpädagogisches Projekt im Bürgerhaus Trier-Nord, Aufführungstermine noch offen.

Spielstätte

Im Amphitheater soll laut Intendant Gerhard Weber eine Orchester-Überdachung ins Bühnenbild integriert werden, so dass die Oper nicht bei jedem Nieselregen unterbrochen oder abgebrochen werden muss. Es wird diesmal keine Hang-Tribüne geben, sondern wieder Ränge im Innenraum. Bei heftigerem Wetter dient die Arena als Ersatzspielstätte.

Um Ärger mit den Anwohnern zu vermeiden, beginnt die Oper um 20.30 Uhr, das Schauspiel um 20 Uhr.

Karten

Der Vorverkauf soll am 20. November starten.

Die Tickets für Schauspiel und Oper kosten etwa zwischen 32 und 64 Euro, sie gelten als ÖPNV-Ticket. hpl/eg

Meinung

Zurück zu den Ursprüngen

Totgesagte leben manchmal wirklich länger. Die Antikenfestspiele 2010 sind spät an, der durch die Absage der Saison 2009 entstandene Zeitvorteil verspielt, die Konkurrenz ein paar Schritte voraus. Aber das Programm, das Intendant Gerhard Weber unter massivem, nicht primär von ihm verschuldeten Zeitdruck auf die Beine gestellt hat, kann sich sehen lassen. Entscheidend ist, dass es wieder zu einem Grundpfeiler der frühen Festspiele zurückgeht: Das Festival ist kein populäres Sommerprogramm zur Unterhaltung der Trierer und ihres Umlandes, sondern es zielt vorrangig auf überregionales Publikum und eine Schärfung des kulturellen Profils von Deutschlands ältester Stadt. Eine Opern-Rarität wie "Nerone" in höchst respektabler Besetzung, Thalheimers provokative, aber begeistert gefeierte Ödipus/Antigone-Produktion, ein großes Auftragswerk fürs Orchesterkonzert: Das sollte, professionelles Marketing vorausgesetzt, auch im weiteren Umkreis Aufmerksamkeit - und natürlich Besucher - nach Trier lenken. Trotzdem wird es auch darauf ankommen, das einheimische Publikum zu locken, denn 10 000 Plätze und mehr wollen verkauft sein. Dazu gehört, dass die Trierer, Eifeler, Hochwälder und sonstigen Anrainer sich trauen, Karten zu kaufen, auch wenn kein gefälliger Gefangenenchor geschmettert wird und es beim Schauspiel etwas großstädtischer zugeht. Die Festspiel-Macher könnten durch zügiges Erledigen ihrer Hausaufgaben dazu beitragen: Die in Aussicht gestellte Orchester-Überdachung, qualitätsvolleres Ambiente, Parkplatz-Lösungen. Je schneller da klare Signale kommen, desto besser. d.lintz@volksfreund.de

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