Schnell, vital, brachial: Green Day bei Rock am Ring

Es ist der härteste Job am Ring, die erschöpften Fans am Sonntagabend nochmal zur Raserei zu treiben. Vor einem Jahr gelang das den Toten Hosen. Dieses Mal wird Green Day auf der Hauptbühne von Rock am Ring am Festivalende kurz zur besten Band der Welt. Auch die Reggae-Meister Seeed schlagen mächtig zu.

Nebel wabert schon den ganzen Tag über das Festivalgelände, die Temperatur stürzt auf knapp über zehn Grad, ständig fällt Nieselregen. Wer am Sonntag bei Rock am Ring noch Party machen will, braucht Nehmerqualitäten. Wer diese hat, wird belohnt. Green Day spielt am Abend eine großartige Show, vibrierend vor Spielfreude und Energie.

"Let's get crazy", ruft Gitarrist und Frontmann Billy Joe Armstrong immer wieder. Lasst uns durchdrehen. Machen wir doch gerne, antworten die Fans. Ein Blick auf das Festivalgelände zeigt eine wogende, tanzende Masse. Mit "99 Revolutions" und "Know Your Enemy" starten die US-Jungs eine Show, die in ihrer Intensität und Qualität auch innerhalb des hohen Ring-Niveaus zum Ausnahmeerlebnis wird.

Green Day sind schon lange im Geschäft. Viele ihrer Fans waren noch nicht auf der Welt, als es in den späten 1980ern losging. Seitdem hat Green Day den Musikmarkt geprägt und die Definition von Punk erweitert. Zwar sind sie keine Wiedergeburt der Ramones oder Sex Pistols, können aber mit ihren meisterhaften Drei-Minuten-Krachern jede Fanmenge in eine Meute tanzender Wahnsinniger verwandeln. Und so spielen Green Day auf dem Ring jede Menge Songs ihres Mega-Albums "Dookie", das in ein paar Monaten seinen 20. Geburtstag feiert. "Burnout", "Basket Case" und "She" reißen am Ring Zehntausende mit. Inhaltlich leicht konsumierbarer Spaß-Punk-Rock ist live eben schwer zu schlagen.

Das politisch motivierte Konzeptalbum "American Idiot" (2004) und die Rockoper "21st Century Breakdown" (2009) waren zwar Erfolge, aber auch Schritte in andere Richtungen, und die Veröffentlichung von gleich drei Alben in 2012 - Uno, Dos und Tré - hatte ein wenig Größenwahn in sich. Aber dem Ring zeigen sich die Jungs von Green Day von ihrer besten und musikalisch glaubwürdigsten Seite. Vital. Brachial. Ehrlich und originell. Ein Erlebnis, das lange in Erinnerung bleiben wird.

Der Job von Seeed ist noch härter als der von Green Day. Gegen Mitternacht tritt die Berliner Kombo auf der Alternastage vor eine total erledigte, aber auch euphorisierte Fan-Meute, die Regen und Nebel längst nicht mehr spürt. Der späte Auftritt wird zur riesigen Abschiedsparty. Die Seeed-Sänger Pierre Baigorry, Frank Dellé und Demba Nabé, wie gewohnt in Schlips und Anzug, treten mit dem für die Band typischen und großartig arrangierten Dancehall-Reggae gegen die tatsächlichen Wetterbedingungen an. Spät in der Nacht verabschieden sich Tausende äußerst widerwillig von viel zu schnell vorbeigezogenen Festivaltagen. Es ist Zeit für die unangenehmen Seiten des Rings: das Bedauern des Abschieds, das Packen und Abbauen und das Einreihen in die Abreisestaus. Wenn die Campingstadt ihre Zelte abschlägt, hat man das Gefühl, ein Volk zieht weiter. Zum Glück hat die Festivalsaison gerade erst begonnen und geht am 21. Juni mit dem Southside (Neuhausen ob Eck) und seinem Schwesterfestival Hurricane (Scheeßel) weiter.

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