Schräg-schriller Totentanz

Trier · So wie Manuel Schmitt die "Großherzogin von Gerolstein" in Trier inszeniert, hatte sich ihr Schöpfer Jacques Offenbach seine Operette bestimmt nicht vorgestellt. Wir gehen trotzdem jede Wette ein, dass der Kölner Kosmopolit seine helle Freude an dem grellen Spektakel gehabt hätte.

 Verdrehte Welt: Die Großherzogin von Gerolstein (Karl Sibelius alias Rose Divine, rechts) ist bereit zur Hochzeit mit Prinz Paul (Fritz Spengler), der im Brautkleid und mit Blumenstrauß erscheint. Foto: Vincenzo Laera

Verdrehte Welt: Die Großherzogin von Gerolstein (Karl Sibelius alias Rose Divine, rechts) ist bereit zur Hochzeit mit Prinz Paul (Fritz Spengler), der im Brautkleid und mit Blumenstrauß erscheint. Foto: Vincenzo Laera

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Trier. Das Grauen setzt mit der Ouvertüre ein. Zu den beschwipst-beschwingten Klängen Jacques Offenbachs, die Wouter Padberg aus dem champagnerlaunig musizierenden Philharmonischen Orchester der Stadt Trier - das mal nicht im Graben, sondern hinterm Glitzervorhang auf der Bühne sitzt - hervorlockt, flimmern Schwarzweißbilder aus der Hölle über den Hintergrund.
Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs robben durch Dreck, kommen aus der Deckung, stürzen zu Boden, krepieren, hundert-, tausend-, hunderttausendfach. Panzer brettern über Brachland, Explosionswolken verdunkeln den Himmel. Grobkörnige Dokumente der ersten Apokalypse des vergangenen Jahrhunderts. Und die Musik spielt dazu ...
Zwischen LSD und Opium


Ehe wir uns ins schräge Vergnügen stürzen, noch ein kleiner Exkurs in die Theaterwissenschaft. Über die Operette vor und nach der Machtergreifung schreibt der Berliner Musikwissenschaftler Kevin Clarke: "Vor 1933 war sie ein LSD-Trip, bizarr, manchmal beängstigend, immer bunt, schrill und verrückt. (...) Nach 1933 wird sie zum Opium-Rausch, der den Hörer auf einer Wolke der Sentimentalität schweben lässt, die alles Angsteinflößende ausblendet."
In Trier erlebt das Publikum zweifellos einen Vor-1933er-LSD-Trip der Extraklasse. Als Leitmotiv könnte auch ein Songtitel von Leonard Bernstein über der Show stehen: "Glitter and be gay" - etwa "Funkle und sei fröhlich", wobei "gay" auch ein eindeutiger Hinweis auf das zweideutige Spiel mit den Geschlechtern ist, das Manuel Schmitts irrwitzige Inszenierung wie ein roter Faden durchzieht.
Das beginnt schon bei der Großherzogin: Intendant Karl Sibelius schlüpft als Rose Divine in die Titelrolle - und, ja: Trier verfügt jetzt dank der göttlichen Rose über einen veritablen Showstar, der das Haus durch die Decke schießt (spätestens am Schluss, wenn er Gloria Gaynors "I will survive" rockt, begleitet vom auch discosoundfähigen Orchester, auf einem Panzer mit keck aufgerichtetem Kanonenrohr).
Sibelius hat sich die Rolle auf den durchtrainierten Leib geschneidert - und auch sonst radikal in den Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy eingegriffen -, und sie sitzt ebenso faltenfrei wie die Roben (Kostüme: Caroline Stark), in denen er Hof hält und sein Lieblingsspielzeug, die Armee, vor sich aufmarschieren lässt. Auf einer Empore übrigens, deren gezackter Sternenkranz verdächtig an den Kopfschmuck der Freiheitsstatue vor New York erinnert (Bühne: Bernhard Siegel).
Um eben diese Herzogin nicht auf die Idee kommen zu lassen, sich in die Staatsgeschäfte einzumischen, zetteln ihre aufgeplusterten Militärs, herrlich hanebüchene Hohlköpfe (László Lukas als Puck, Norman Stehr als Baron Grog und, besonders schrullig, Andrea Azzurrini als General Bumm, eine Mischung aus Groucho Marx und Rumpelstilzchen) einen Krieg an nach dem Motto "Sieg geil!"
Das sehen die Gefreiten, in lackglänzendes Leder gewandet, naturgemäß anders, vor allem der etwas tumbe Fritz (Bonko Karadjov), der lieber bei seiner Wanda (Eva-Maria Amann) bliebe. Die beiden verfügen über kräftig-geschmeidige Stimmen - selbst dann, wenn sie in kamasutrahaften Verrenkungen ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Auch die anderen Soldaten amüsieren sich lieber mit ihren Mädels, blondbezopft und pausbäckig (der "Führer" hätte seine helle Freude an ihnen gehabt), als ihre eigentliche Braut, das Gewehr, zu liebkosen.
Der Horror freilich ist allgegenwärtig: Nicht nur in den blutverschmiert auf die Bühne torkelnden Soldaten, die von munter tirilierenden, Mullbinden wie Luftschlangen schwingenden Krankenschwestern (Vera Ilieva, Hee Gyoung Jeong, Silvie Offenbeck) zu Tode gepflegt werden, sondern auch in Gestalt des schwarzgeflügelten jugendlichen Todesengels (Johann Schütte-Kleis), der, ein stummes Memento mori, degenschwingend durch die Handlung schleicht.
Wermutstropfen des Abends (es war die Aids-Gala, auf der auch diese Randnotizen basieren): Die Verständlichkeit der Akteure, abgesehen von Sibelius, ließ oft zu wünschen übrig. Dabei kommt es gerade bei derlei hirnrissigen Geschichten darauf an, Seitenhiebe und Pointen mitzubekommen. Die übrigens auch den "Volksfreund" einbeziehen sowie seine Siebtelkonkurrenz, den Wochenspiegel: Es dürfte das erste Mal in der Geschichte des Theaters und auch der hiesigen Gazetten sein, dass ihnen ein eigenes Lied auf die Seiten geschrieben wurde.
Operette ohne Happy-End


Offenbach war mit dem Endergebnis seiner "Großherzogin" nicht recht zufrieden, davon zeugen zahlreiche Streichungen und Umarbeitungen. Grund genug für Sibelius, kompromisslos auf ein Happy-End zu verzichten: Eigentlich hat die Herzogin ein Auge auf Fritz geworfen, aber der will partout bei seiner Wanda bleiben - und darf am Ende wenigstens in ihren Armen sterben.
Die Adlige begnügt sich daher mit Prinz Paul, eine kugelrunde Figur wie vom kolumbianischen Künstler Fernando Botero geschaffen, in babyblau von der Perücke bis zum Mantelsaum. Auch die Kuchen, die er ständig in sich hineinstopft, sind kreischblau. Des Prinzen Blau ist der einzige Hinweis auf dessen Männlichkeit, mit der es jedoch nicht allzu weit her sein kann - bei der Hochzeit tritt er dann auch als Braut auf.
Das doppelbödige Geschlechterspiel treibt Regisseur Manuel Schmitt auf die Spitze, indem er diese Rolle dem Countertenor Fritz Spengler anvertraut, der sich mit glockenheller Stimme in weiblichen Kehlkopfgefilden tummelt - betörend schön, extrem irritierend, grandios gaga.
Klingt alles ziemlich bescheuert? Ist es auch. Aber ein Mordsspaß - und einer zudem, der einem einiges zu denken gibt.
Weitere Aufführungen: 8. und 9. Dezember, 6. und 27. Februar, jeweils 19.30 Uhr, 7. Februar, 16 Uhr. Karten unter Telefon 0651/7181818 oder auf <%LINK auto="true" href="http://www.teatrier.de" text="www.teatrier.de" class="more"%>

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