Schreiben in Klangbildern

SCHÖNECKEN. Vor überfülltem Haus las Hanns-Josef Ortheil in Schönecken aus seinem Buch "Lo und Lu". In der anschließenden Diskussion ging es dann um den Prozess des Schreibens. Wie man ein guter Schriftsteller wird, erklärte der erste Professor für "Kreatives Schreiben" in Deutschland dem Trierischen Volksfreund .

Herr Ortheil, was ist "Kreatives Schreiben"? Ortheil: Kreatives Schreiben ist die Vorstellung, dass der Schreibende seinen eigenen Text in der Textentstehung beobachtet. Das heißt, dass er nicht nach der alten Genievorstellung darauf wartet, dass die Inspiration ihn mehr oder weniger überfällt, sondern dass die Inspiration wie auch die Steuerung eines Textes bestimmter Impulse bedürfen. Wir glauben, dass es möglich ist, solche Impulse zu vermitteln und dass derjenige, der den Text schreibt, die Möglichkeit erhalten soll, ihn selbst distanziert zu beobachten und zu betrachten. Steckt in jedem Menschen ein kreativer Schriftsteller? Ist Dieter Bohlen ein kreativer Autor? Ortheil: Das kann ich gar nicht sagen, weil ich seine Texte nicht kenne. Ich glaube nicht, dass in jedem Menschen ein Moment von Kreativität angelegt ist. Kreativität heißt, auf Wegen, die sich weder aus Gesetzen noch aus der Logik ergeben, Neues herzustellen. Diese Fähigkeit ist relativ selten. Wieviel Studierende nehmen Sie auf? Ortheil: Zehn Studierende pro Jahr bei etwa 500 Bewerbungen im letzten Jahr. Sie arbeiten an Gedichten, Romanen, Drehbüchern und journalistischen Texten. Was halten Sie von den "Creative Writing"-Kursen, die allerorts angeboten werden? Ortheil: Die Bewegung "Kreatives Schreiben" kommt aus Amerika und sie ist da besonders durch den Film und die Medien inspiriert. Vorbild ist immer die Film- und Mediendramaturgie, also eine schnell geölte Textdramaturgie. Damit hat das, was wir in Hildesheim machen, nichts zu tun. Wir wollen keine Autoren für RTL produzieren. Alle fünf Sinne sollen in einem Text etwas zu tun haben, lautet eine Ihrer Forderungen. Sind wir nicht dabei, uns alle Sinne kaputtzumachen mit billiger Serienästhetik, Dauerlärm und plakativen Sprüchen? Ortheil: Ja, ich sehe das auch, gerade was die Überfüllung des Raums mit Bildern und Lärm betrifft. Sie können ja kaum durch eine Landschaft fahren, ohne dass die Landschaft durch Bilder vorgeprägt ist. Man traut dem Einzelnen immer weniger zu, selbst zu sehen. Stattdessen sind wir von der Akustik und den Bildern vorgeprägt. Haben die Deutschen nicht auch das Erzählen verlernt? Ortheil: Ja, die Deutschen haben Probleme mit dem Erzählen seit den 20er, 30er Jahren. Erst einmal hat der Faschismus einen Bruch mit den großen Erzähltraditionen der Weimarer Republik gebracht. Die guten Erzähler sind aus Deutschland fortgegangen. Nach dem Krieg hat es kein ungebrochenes Verhältnis mehr zum Erzählen gegeben. Die letzten 40 Jahre zeigen eine enorme Verklemmung gegenüber anderen Ländern, nehmen Sie nur Amerika. Das wird aber langsam besser. Manche Ihrer Texte lesen sich wie ein Rondo. Welcher Zusammenhang besteht für Sie zwischen Musik und Sprache? Ortheil: Ich war zunächst Pianist. Meine eigentliche Sozialisation ist über die Musik entstanden. Ich hatte dann später das Gefühl, dass ich einen Teil von dem, was ich in der Musik gelernt habe, in die Texte übertrage. Den melodischen Charakter des Textes zu beachten, war mir immer sehr wichtig. Ich kann gar nicht anders schreiben als in Klangbildern. Wie muss denn ein kreativer Leser aussehen? Ortheil: Ein kreativer Leser liest nicht stur von vorn nach hinten. Er überblättert auch mal. Dass er Lust am Lesen hat, ein Buch auch mal vorzeitig beendet und dass er auf der Suche ist nach den Büchern, die er mag - all das sind Anzeichen von Kreativität. S Die Fragen stellte unsere Mitarbeiterin Eva-Maria Reuther.

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