Schreie und dumpfe Trauer

Ein glänzender Saison-Start: Das London Symphony Orchestra gastierte mit Stardirigent Valery Gergiev in der Luxemburger Philharmonie. Auf dem Programm: Werke von Dimitri Schostakowitsch und Peter Tschaikowsky.

Luxemburg. (er) Wann hörte man jemals das Chaos so atemberaubend in Musik gefasst wie in Dimitri Schostakowitschs 8. Sinfonie? In der Luxemburger Philharmonie waren die Londoner Symphoniker zu Gast. Chefdirigent Valery Gergiev versteht die musikalische Energie seiner Musiker zu nutzen, aus ihr Funken zu schlagen, sie vielstimmig und farbenreich zum Klingen zu bringen. Wie eine Figur aus einem russischen Roman steht der Stardirigent aus Petersburg auf dem Pult. Oft genügt ihm ein Vibrieren dieser äußersten Pole seiner Feinnervigkeit, um die Steinchen in Schostakowitschs musikalischem Mosaik genau zu platzieren und seine Farben leuchten zu lassen.

Was Bert Brechts "Mutter Courage" mit Worten formuliert, hat Schostakowitsch in Klang gefasst. Seine unter dem Eindruck des 2. Weltkriegs entstandene fünfsätzige Sinfonie ist ein Stück vom Leiden des Menschen am Krieg, der Vernichtung von Geist und Seele, von Ängsten und bedrückenden Alpträumen. Zu Beginn - im großartigen Adagio - geben die glasklaren Geigen noch eine Ahnung von einer besseren Welt, die allerdings bald Schmerz und Verzweiflung weicht, bis schließlich ein Marsch brutal niedertrampelt, "was das Individuum ausmacht". Gergievs Musiker, die herrlichen Streicher, die wunderbaren Bläser, die hinreißende Pauke, machen die groteske Anmaßung der Gewalt hörbar, entfachen Gefühlsstürme, geben den Schreien der Qual und der dumpfen Trauer eine Stimme. Ein sichtlich bewegter Gergiev nahm am Ende den Jubel des Hauses entgegen.

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