Seiner Zeit um Jahrhunderte voraus

Philosophie auf die Bühne zu bringen: Der Anspruch von "Cusanus - Fragmente der Unendlichkeit" ist enorm hoch. Aber das eigens für Trier entstandene "Szenische Oratorium" löst ihn ein, ohne dabei im Elfenbeinturm zu landen.

 Fragmente: Reveriano Camil als Soldat, Gor Arsenian als Sigismund und Adrana Kraschewski als Verena von Stuben. Foto: Klaus-Dieter Theis/Theater Trier

Fragmente: Reveriano Camil als Soldat, Gor Arsenian als Sigismund und Adrana Kraschewski als Verena von Stuben. Foto: Klaus-Dieter Theis/Theater Trier

Trier. Wie rückt man einem zu Leibe, dessen philosophische und naturwissenschaftliche Schriften nicht nur Bände, sondern Bibliotheken füllen? Die Kunst liegt in der Beschränkung. Die Trierer Cusanus-Oper versucht weder, die Lebensgeschichte von Cusanus zu erzählen, noch sein gesamtes Gedankengebäude zu beschreiben. Sie greift wichtige Grundgedanken des genialen Denkers auf und setzt sie in nachvollziehbare Szenen um.Das Bild des Schmetterlings etwa, der ermattet stirbt, weil er immer wieder zum Licht strebt und nicht erkennt, dass er es mit seinen Mitteln nicht erreichen kann. Die Einsicht in die eigene Beschränkung ist ein Kernpunkt der Cusanus'schen Philosophie, ebenso wie die daraus resultierende Skepsis gegenüber einer Wissenschaft, die glaubt, alles zu wissen. An deren Stelle setzt er den unverstellten Blick des Laien, und auch die Bereitschaft, den Blickwinkel zu ändern.Das Stück auf der Trierer Bühne findet schöne, plausible Bilder, um die Denkansätze zu verdeutlichen. So wie die von Cusanus tatsächlich erfundene Spielkugel, die nicht perfekt gerundet ist, sondern eine starke Einbuchtung hat. Wer sie einfach geradeaus rollt, verfehlt unweigerlich sein Ziel. Aber in spiralförmigen Bewegungen erreicht sie den Mittelpunkt einer Zielscheibe. Es kommt nicht darauf an, alles gleich zu machen, die Kunst besteht darin, mit den Dellen und Unwuchten - auch des menschlichen Individuums - richtig umzugehen und so die Schwäche zur Stärke zu machen. Eine ebenso humane wie modern anmutende Einsicht - wie überhaupt der Querdenker und Moselaner Cusanus seiner Zeit im 15. Jahrhundert mindestens so weit voraus war wie sein Landsmann Karl Marx 400 Jahre später.Aber keine Angst: Librettist Inigo Bocken und vor allem Dramaturg Peter Larsen, der die gelungenen Texte für die verbindenden Zwischenspiele geschrieben hat, veranstalten keine Vorlesung auf der Bühne. Dieser "Cusanus" lädt zum Denken ein, aber er setzt kein Studium voraus. Und er traktiert das Publikum nicht mit geschwätzigen Phrasen.Darstellerisch begeisternder Chor

Freilich tut auch Regisseur Sven Grützmacher bei seiner ersten Produktion außerhalb des Tanztheaters einiges, um den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Erstaunlich souverän lässt er Sänger, Schauspieler und Tänzer auf verschiedenen Handlungs-Ebenen agieren, verliert nie den roten Faden und komponiert mit einem darstellerisch begeisternden Chor beeindruckende, bildmächtige Massenszenen.Gerd Hoffmanns hochintelligentes Bühnenbild setzt in der Kombination mit Claudia Caséras kraftvoll illustrierenden Kostümen eine klare, symbolträchtige Bildersprache. Die Video-Animationen von Rüdiger Mörsdorf sind dabei eher Erklärungshilfen als eigenständige künstlerische Beiträge - was Überfrachtungen verhindert. Weitere Termine am 27.11.; 14,. 29.12.; 16.1.; 9.2.; Kartentel: 0651/718 18 18 UMfrage Stimmen aus dem PublikumBernd Lambert (Trier): Ich bin ganz weg von diesen klaren geometrischen Figuren mit diesen Farbtupfern drin, die trotz einfachen Bildern und sparsamen Bühnenbild möglich waren. Christiane Meyer (Trier): Für mich war das eine innere Bereicherung. Ein Stück mit viel Weisheit über die Weisheit. Ich habe viele philosophische Ansätze des Universalgelehrten wieder entdeckt. Cornelia Löwenguth (Gutweiler): Faszinierende Aufführung von Anfang bis Ende. Die Bühnenbilder wie Kunstwerke inszeniert. Vom Inhalt her schwere Kost. Michael Lenz (Münster/Westfalen): Sehr experimentell. Gut gefallen haben mir die Musik und die Umsetzung durch das Orchester. Das Stück hat gezeigt, dass wir auf der Suche nach Wahrheit und Weisheit sind.Umfrage und TV-Fotos (4): Ludwig Hoff

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