So benehme ich mich falsch

Klamotten werden überschätzt - warum nicht in Shorts und Badelatschen ins Theater? Es reicht ja schon, wenn die auf der Bühne sich mit Schminke, Perücke und Korsett herumquälen müssen. Besonders spießig ist Pünktlichkeit! Die höchste Aufmerksamkeit erzielen Sie, wenn Sie Ihren Platz in der Mitte der Reihe aufsuchen, wenn alle anderen schon sitzen und das Licht im Saal bereits gedimmt ist.

Die anderen stehen gerne für Sie auf. Es sei denn, diese haben denselben Anstand wie Sie. Dann bleiben sie nämlich sitzen, während Sie sich wortlos durch die Reihe quetschen. Selbstverständlich tun Sie das immer schön mit dem Rücken zu den Zuschauern in Ihrer Reihe. Sonst kämen Sie ja in Verlegenheit, um Entschuldigung zu bitten und sie dabei freundlich anzusehen. Wenn Sie Ihren Platz eingenommen haben, beanspruchen Sie möglichst beide Armlehnen - immerhin haben Sie Eintritt bezahlt. Warum dann noch unbequemer sitzen als daheim? Durch lautes Kommentieren des Gesehenen oder Mitsprechen ganzer Textpassagen zeigen Sie, dass Sie sich auskennen. Ihr Handy brauchen Sie nicht auszuschalten, es kann ruhig jeder wissen, dass Sie wichtig sind. Mit originellem Signalton eingehende Nachrichten, die Sie während der Vorstellung checken, beweisen das. Ein nicht zu unterschätzender Punkt: Zwischendurch unbedingt filmen und fotografieren, was auf der Bühne passiert, und es sogleich in einem sozialen Netzwerk teilen. Ein Theaterbesuch strengt an. Dann muss er wenigstens so bequem wie möglich sein. Warum eine Stunde oder länger auf Speisen und Getränke verzichten? Die Klassiker: Bonbons aus raschelnden Tüten klauben, umständlich auswickeln und dem Vordermann eines anbieten, indem man ihm kumpelhaft auf die Schulter klopft. Selbstverständlich haben Sie auch eine Flasche dabei, aus der Sie immer wieder zwischendurch trinken. Die auf der Bühne können doch nicht ernsthaft erwarten, dass man bei einem langen Monolog konzentriert zuhört und möglicherweise riskiert, zu dehydrieren. Das Ende der Vorstellung zeichnet sich ab? Jetzt ist rasches Handeln angesagt. Der Vorhang fällt, Applaus setzt ein. Am besten verlassen Sie jetzt bereits die Vorstellung, dann kommen Sie gut vom Parkplatz weg. Auf der Bühne gibt es außer Verbeugungen nichts mehr zu sehen. Applaus ist das Brot des Künstlers? Blödsinn: Die auf der Bühne machen nur ihren hochbezahlten Job. Es interessiert sie nicht die Bohne, ob sie Menschen sehen, die ihnen Wertschätzung entgegenbringen, oder sich leerende Sitzreihen. Wenn Sie es jetzt schaffen, sich an den anderen vorbeizudrängen, können Sie noch vor den Spätnachrichten zu Hause sein. Karin Pütz

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