So klingt Saarbrücken

Der in Weimar lehrende Klanggestalter Robin Minard nimmt für eine akustische Deutschlandkarte in 15 ausgewählten deutschen Städten Klänge und Geräusche auf - auch in Saarbrücken. Was steckt hinter dem Projekt?

Saarbrücken. Mit Kopfhörern und Mikrofonen hocken zwei Männer am Brunnen auf dem Platz vor der Saarbrücker Congresshalle. Das Klangbild der Fontänen, die abwechselnd aus Bodenlöchern schießen, wollen sie aufnehmen.

Stefan Zintel, Saarbrücker Musiker, ist der eine; der andere ist Robin Minard, Professor für elektroakustische Komposition und Klanggestaltung in Weimar und als Klangkünstler international renommiert. "Jede Stadt klingt anders", ist Minard überzeugt. Der 56-jährige gebürtige Kanadier will eine akustische Deutschlandkarte komponieren.

16 Städte zwischen Kiel und Passau hat er dafür zu "Hörpunkten" definiert. Mitstreiter vor Ort haben wiederum in jeder dieser Städte 15 Punkte ausgesucht, die ein für die Stadt typisches Klangbild hergeben: ein Zusammenspiel von Geräuschen, die Menschen, Natur, Maschinen oder auch Verkehr produzieren. In Saarbrücken hatte das Netzwerk Neue Musik Saar die Bürger aufgerufen, Vorschläge zu machen. Einer davon war der relativ neue Brunnen an der Congresshalle, dessen Fontänen, mal einzeln, mal in kleineren oder größeren Gruppen hochschießen und das Wasser aufs Pflaster prasseln lassen.

Orkanartig hört sich das unter den Kopfhörern an. "Der Rhythmus, der da entsteht, ist genial", schwärmt Zintel. Als ein paar Kinder auf Fahrrädern juchzend zwischen den Fontänen durchkurven, schaltet Minard sein Aufnahmegerät noch einmal an.

Doch ist das jetzt typisch für Saarbrücken? Schließlich ist der Brunnen kein Unikat.

Aber vielleicht der Güterbahnhof, bei dem nachts das Quietschen der Metallräder durchs ganze Tal klingt? Oder die Saarbahn, in der die Stimme, die die Stationen ansagt, und auch die Fahrgäste Französisch reden? Auch sie gehören zu den vorgeschlagenen Orten. "In Großstädten gibt es immer ein Grundgeräusch, das alles zu überdecken droht, deshalb muss man die Orte sorgfältig aussuchen", sagt Minard, der heute nur auf Stippvisite weilt. Zweite Station ist der Kinderspielplatz am Ulanenpavillon. Minard hält das Richtmikrofon an eine Tischtennisplatte, an der eine Mutter mit ihrem Kind Pingpong spielt. Auf Minards Aufnahmegerät hört sich das an, als spielten sie direkt neben der Autobahn. "Das ist sehr kontrastreich, vielleicht nicht gerade der ideale Ort für eine Freizeitanlage", meint der Klangkünstler. Und es zeige, wie wir orientiert seien. "Wir", die heutige Gesellschaft.

"Wir leben in künstlichen Städten, wir denken daran, alles zu gestalten - aber der Klang der Stadt ist am wenigsten gestaltet." Und doch seien wir für die Klänge, mit denen wir leben, selbst verantwortlich, hätten Möglichkeiten, sie zu gestalten. Doch dafür müssten wir erst einmal lernen, hinzuhören, sagt Minard. Genau darum geht es ihm bei diesem Projekt, das wiederum Teil ist des bundesweiten Projekts "sounding D - Neue Musik aus Deutschland erfahren" ist.

Die Saarbrücker Aufnahmen werden Minards Assistenten zu eineinhalbminütigen Klangbildern bearbeiten, die später auch im Netz abrufbar sind. "Sounding D" ist aber auch ein Sonderzug, der die 16 Städte anfährt. Wenn er am 4. September in Saarbrücken Station macht, kann man die 15 Hörpunkte auf einem "Klangspaziergang" durch die Stadt nacherleben und selbst Aufnahmen machen.

Als letztes sucht Minard an diesem Tag die Stadtautobahn unter der Alten Brücke auf. Da erledigt sich jeder Gesprächsversuch. Klingt so Saarbrücken - nach Autorauschen?

Neben Saarbrücken sind auch die folgenden Städte "Hörpunkte": Kiel, Hamburg, Oldenburg, Berlin, Göttingen, Essen, Dresden, Moers, Eisenach, Köln, Mainz, Stuttgart, Passau, Freiburg und Augsburg.

Hintergrund

Klanglandschaften: Vor allem die Neue Musik hat oftmals das Hören selbst zu ihrem Gegenstand gemacht. Ihre Komponisten lassen das Wissen darum, wie das Gehör eine Klangfarbe identifiziert oder einen Raum erlebt, oft in ihre Werke einfließen. Um "Klanglandschaften", sogenannte Soundscapes, geht es im Projekt von Robin Minard. Unter Klanglandschaft versteht man, so Justin Winkler vom Forum Klangforschung Basel, die Gesamtheit der klingenden Umgebung, von den Eigengeräuschen des Körpers bis zum fernsten Donnergrollen.

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