Spagat zwischen getanzten Fantasiewelten

Trier · Engel, Harlekins, Ziegen und ein Geiger: Mit viel Fantasie hat Sven Grützmacher Marc Chagalls Leben auf die Bühne des Trierer Theaters gebracht. Die Uraufführung des Tanzstücks "Marc Chagall - La Vie" kam im fast ausverkauften Großen Saal gut an.

Trier. 97 Jahre in 75 Minuten zu erzählen, das ist keine leichte Aufgabe. Es sind 97 Jahre, in denen der russisch-jüdische Maler Marc Chagall einiges erlebt hat: zwei Weltkriege, eine Revolution, Vertreibung. Tanztheaterchef Sven Grützmacher hat sich daran gewagt - und für das Trierer Theater daraus ein kurzweiliges Spiel aus Symbolen und Lebensstationen gemacht. Es gelingt ihm, den Poeten Chagall als einen einfühlsamen Träumer zu porträtieren. Wieder und wieder spiegelt der Choreograph auf der Bühne eben die Figuren, die der Maler in vielen seiner Bilder zeigt. Weiße Engel, musizierende Geiger und springende Ziegenböcke umtanzen Chagall, tragen und treiben ihn, lenken ihn ab, verharren in für die Gemälde typischen Posen.
Reduziertes Bühnenbild



Komplette Bilder des Malers sucht der Zuschauer vergebens. Lediglich einzelne Ausschnitte sind Teil des Bühnenbilds. So schwebt ein gemaltes Liebespaar über der Bühne, als Chagall sich in seine spätere Frau Bella verliebt. Es ist ein wunderbar emotionales Pas de Deux von René Klötzer und Natalia Grützmacher, als sie mit vielen Drehungen und kleinen Hebungen über die Bühne schweben. Und ein dunkelroter gefallener Engel symbolisiert die Vertreibung der Juden.
Insgesamt ist das Bühnenbild eher zurückgenommen. Bis auf wenige wechselnde Requisiten hat Slava Prischedko es auf eine an blaue Chagallfenster erinnernde Malerei reduziert.
Die wichtigen Einflüsse auf den Maler werden auch so deutlich: die Kindheit in seinem Heimatdorf, die Verehrung für seine Eltern, die jüdische Tradition, das konformistische Russland, symbolisiert durch einheitlich - wenn auch nicht immer synchron - tanzende Schüler in Uniform, die große Liebe zu Bella, die in einer eindrucksvollen Sterbeszene endet, seine Flucht. Der Tanz zeigt das Neben-, aber auch Miteinander Chagalls mit den Menschen, wenn er wieder und wieder aus seinem eigenen Rhythmus heraustritt und in Duette einsteigt. Wer Chagalls Leben bis ins Detail durchdringen möchte, dem sei ein Blick ins Programmheft oder die Einführung vor dem Stück empfohlen.
Eine besondere Note geben der Inszenierung die berühmten Klezmer-Musiker Helmut Eisel und sein Ensemble, das die Tänzer live begleitet. Eisels Klarinettenspiel ist grandios, das Zusammenspiel mit den Tänzern perfekt. Zudem streut Grützmacher mit Liedern, einer Rede von Joseph Goebbels sowie der dadaistischen Ursonate von Kurt Schwitters Kontrastpunkte ein.
Der Tanztheaterchef will mit "Marc Chagall - La Vie" eine Lebensgeschichte erzählen. Den Tänzern verlangt das viele schauspielerische Qualitäten ab, denn der Tanz ordnet sich oft der Erzählung unter. Herausragend ist der ausdrucksstarke René Klötzer als Marc Chagall, der die 75 Minuten nahezu komplett durchtanzt - begleitet von Erin Kavanagh, David Scherzer, Natalia Grützmacher, Susanne Wessel, Juliane Hlawati, Cécile Rouverot, Denis Burda, Noala de Aquino, Robert Seipelt, Reveriano Camil und Christin Braband.
Weitere Vorstellungen: 10., 13. und 21. April, 1., 12., 27. Mai sowie 3. und 10. Juni. Einführung in das Stück jeweils 30 Minuten vor Beginn im Foyer.

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