Springen im Staub
TRIER. Laut, schnell, lustig: Farin Urlaub, Frontmann der Punk-Band "Die Ärzte", brachte mit seinem Racing-Team 1500 Zuschauer in den Kaiserthermen ins Schwitzen. Der Trierische Volksfreund präsentierte das Konzert.
Es staubt. Und zwar nicht, wie feine Flusen vor heißen Glühbirnen stauben, sondern richtig. Der Boden vor der Kaiserthermen-Bühne ist so trocken, dass die Punk-Fans, die originär auch in ihrer Kleidung gerne Wert auf Individualität legen, binnen Kurzem unterschiedslos staubgraue Einheitstracht tragen. "Ich wusste gar nicht, dass die Römer auch Stierarenen gebaut haben", sagt der, auf den die Staubgrauen warten, als er die Bühne betritt. Ein Lob, wie es anbiedernd über die Lippen beinahe aller anderen Künstler kommt, die in den Kaiserthermen gastieren ("wunderschöne Location"), hat Farin Urlaub nicht übrig. Spaß zwischen Punk und Ska
Respektlos ist der Sänger der selbst ernannten "besten Band der Welt", der "Ärzte", also auch in seinem Solo-Projekt geblieben. Das macht Spaß. Und um den geht es nicht nur den hüpfenden, tanzenden, kreischenden Fans zwischen 15 und 30. Denn wer nach nur einem Album (das keinen kommerziellen, völkerverbindenden Nummer-Eins-Super-Sommer-Hit enthält) beinahe ein ganzes Jahr auf Tour geht, hat ebenfalls Sinn für Humor. Und den beweist der blonde 1,93-Meter-Hüne spätestens, als die Fans angesichts seiner ungewohnt nach hinten gegelten Haare "Farin hat ne Scheiß-Frisur" skandieren: Farin grinst - was er eigentlich immer tut - und textet als Antwort spontan ein paar deftige Zeilen. In welcher Band Farin Urlaub sonst die Gitarren-Saiten ein bisschen liederlich und nicht immer mit den flinkesten Fingern bearbeitet, ist nicht zu überhören. Besonders bei "Petze" und "Sumisu" fühlen sich alte Fans des Berliner Kult-Trios "Die Ärzte" zu Hause. "OK" ist wesentlich weniger lustig, musikalisch abwechslungsreicher und dafür kaum noch punkig. Und bei den Ska-Ausflügen sorgt der vierköpfige Bläsersatz für beinahe percussive Rhythmen. Damit das Farin-Urlaub-Racing-Team nicht mangels Material bereits nach einer Stunde von der Bühne muss, hat Farin zum Tournee-Anfang im vergangenen September flugs ein paar neue Lieder geschrieben. "Ich zähl bis zehn, dann will ich euch springen sehn." Explizites verstehen die Fans auch mit Staub in den Ohren. Und dann wird fröhlich gepogt, geschubst und gegrölt. Dass die Texte dabei über Banales kaum hinaus kommen, macht nichts - dadurch fällt das Mitsingen schon nach den ersten Zeilen schön leicht. Und obwohl Farin Urlaub schon Punker war, als Nietengürtel und ausgeleierte Netz-Shirts noch nicht zu den Standard-Kollektionen der Nobel-Boutiquen gehörten: Den Staat oder die Gesellschaft nimmt er nur einmal ins Visier. Seichter Unsinn statt Gesellschaftskritik
"Lieber Staat, manche sagen zwar, du wärst auf dem rechen Auge blind, wobei die, die das behaupten, alle Terroristen sind, das lernt man bei uns schon als Kind", sind die kritischsten Zeilen. Das ist auch nicht schlimm. Schließlich behauptet Urlaub auf seiner Homepage zwar, die Welt verbessern zu wollen. Aber nicht durch zornige Revolution, sondern durch gute Laune, bedingungslose Akzeptanz von Unsinn und umgekehrten Fatalismus. Nach 90 Minuten Spaß pur verlässt das Racing-Team die Bühne. "Tut mit leid, mehr haben wir nicht", verabschiedet sich Farin Urlaub und riskiert lieber ein paar ob der Konzert-Kürze enttäuschte Fans, als inkonsequent zu sein: Ärzte-Knaller wie "Die fette Elke" oder "Ohne dich" bleiben in der Schublade. Danach gruppiert sich ein Großteil der Fans bei Wetterleuchten und Dosenbier um den Palastgarten-Teich. Die fanatischen - meist junge Mädchen mit verschmiertem Makeup - lassen sich Führerscheine, Ausweise, Brüste und Eintrittskarten vom Meister signieren. Davon hält sie auch der Platzregen, der den trockenen Staub endlich aus der Luft wäscht, nicht ab.