Stark unter Stress

TRIER. Die Spannung auf den Publikumsrängen im ausverkauften Haus war förmlich spürbar: Das Neujahrskonzert 2007 der Trierer Philharmoniker konnte vor dem Hintergrund der Querelen um die Vertragsverlängerung von GMD István Dénes kein normales sein.

Kann das funktionieren? Ein ausgelassen-fröhliches Konzert zum Jahresstart mit einem Dirigenten, der gehen soll und einem Orchester, das ihn nicht mehr haben will? Vornweg: Es funktionierte nicht nur, es funkelte. Ein glänzend aufgelegter István Dénes zelebrierte einen ausgefeilten Neujahrsauftritt, und die Philharmoniker ließen keine Sekunde das Gefühl aufkommen, sie könnten der Versuchung erliegen, ihren Chef schlecht aussehen zu lassen. Eine untadelige, hochprofessionelle Leistung auf beiden Seiten des Dirigentenpults. Stark, auch unter Stress. Dabei war viel Demonstratives an diesem Abend. Schon bevor der Dirigent zum ersten Mal den Taktstock lupfen konnte, erhoben sich einige Damen im Saal zu "standing ovations". Am Ende rief das stehende Publikum Dénes trotz längst eingeschalteten Saallichts vier Mal auf die Bühne zurück. Nur in der Loge, wo Dezernenten, Intendanten und Presse zu sitzen pflegen, spendete man den Beifall überwiegend in vornehm-sitzender Zurückhaltung. Vielleicht neigt man ja zu Über-Interpretationen. Aber war es Zufall, dass Dénes, der hemdsärmelige Budapester, den Abend mit dem stramm-preußischen Marsch "Neues Deutschland" eröffnete und sich ausgerechnet beim musikalischen Zitat "Üb' immer Treu und Redlichkeit" mit großer Geste in Richtung Publikum wandte? Musikalisch bot das Konzert eine gekonnte Mischung, die all zu Klischeehaftes mied und mit Entdeckungen glänzte. Der ausgegrabene "Moselland"-Walzer des Bernkasteler Komponisten Peter Kettenhofen etwa, ein reichhaltig instrumentiertes, eher feierliches Werk mit vielen Fiorituren und hübschen Tempowechseln. Oder José Bragatos Tango "Graciela y Buenos Aires", bei dem Jörg Sonnenschein als Cello-Solist brillierte, auch wenn dem begleitenden Streich-Orchester ein wenig die geschmeidige Eckigkeit des Tangos abging. Oder die grandiose "Journey in tones" über den "Mississippi" von Ferde Grofé, eine viersätzige, höchst stimmungsvolle Suite. Da rauscht der mächtige Fluss, man sieht Tom Sawyer und Huckleberry Finn barfüßig am Ufer tollen, bevor die Reise im Mardi gras, dem Karneval von New Orleans endet (Tipp: Das Stück ist gemeinsam mit zwei weiteren Grofé-Natur-Suiten als Naxos-CD für 7 Euro zu haben). "Wir müssen lernen, unsere Schätze mehr zu schätzen", sagte István Dénes bei einer seiner launigen Conférencen. Ein Schelm, wer auch da wieder Anspielungen vermutet. Ein paar musikalische Späße wie die frech zusammencollagierte Strauß'sche "Künstlerquadrille" sowie einen kompletten Radetzkymarsch rückwärts, ein bisschen gepflegte Donau-Melancholie mit einem langsamen Robert-Stolz-Walzer, gesungen von Vera Wenkert, dazu zwei, drei klassische Neujahrskonzert-Schmankerl: Fertig war ein perfekter Abend.

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