Stille Schreie und umwerfende Komik

Wittlich · Mit großer Kunst als Veranstaltung des örtlichen Jazz Clubs begannen die Wittlicher Kulturtage in der voll besetzten Wittlicher Synagoge. Im Mittelpunkt des Abends: der weltberühmte Pantomime Milan Sladek.

 Milan Sladek zeigt sein Können in der Synagoge in Wittlich.TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Milan Sladek zeigt sein Können in der Synagoge in Wittlich.TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Wittlich. Da oben steht er auf der Bühne mit seinen 73 Jahren. Nichts hat er an Ausdruckskraft verloren. Im Gegenteil: seine Gesten und seine Mimik sind wissender geworden, seine stummen Schreie lauter und unmittelbarer. Milan Sladeks Gesicht und Körper sind großartige Darsteller. Ganz ohne Worte führen sie ihre schweigenden eindringlichen Dramen auf, die von der menschlichen und anderen Schwäche handeln. Mit einer Geste, einem Fingerzeig, einer Drehung, ein paar angespannten Muskeln versteht der große Pantomime zu rühren und zu schrecken. Sein denkender und sprechender Körper lässt sein Publikum lachen, trauern und mitfühlen. Zur Eröffnung der Kulturtage 2011 ist das tschechische Multitalent das heute in Köln lebt, in die Synagoge nach Wittlich gekommen. Mit ihm die drei Jazzmusiker Gerd Dudek, Rob van den Broek und Ali Haurand. Auch die drei Musiklegenden sind in die Jahre gekommen. Ihre Spielfreude ist davon unbeschadet, auch wenn die Lust an der Erinnerung zugenommen hat. Ein wenig wehmütiger ist ihre Musik vielleicht geworden, wohltönend an diesem Abend mit Dudeks warmen, volltönenden Saxophon, dem Blues und den Klassikern. Am Bass ist Haurand der Nachdenkliche, der in sich hineinhört, als ob seine Musik über Gott und die Welt sinniert, frisch und klar dazu van den Broeks Klavier. Die vier Künstler setzen mit ihrem Auftritt das richtige Zeichen, was diese Kulturtage sein wollen: ein qualitätvolles, vielseitiges Angebot, das gleichermaßen Unterhaltung wie geistigen und seelischen Zugewinn bietet. "Kultur soll Brücken schlagen" bestätigt Bürgermeister Joachim Rodenkirch und verweist auf das in Wittlich seit jeher bestehende Interesse an Kunst und Kultur. Sladek beginnt sein "stilles Theater" mit seinem Frühwerk "Die Sonnenblume", gleichsam sein eigenes Frühlingserwachen. Sein komisch-drastischer Jupiter, der sich als Schwan der schwärmerisch-naiven Dame Leda nähert, ist ein olympischer Gockel auf der Jagd nach irdischen Hennen. "Amerika wir kommen" heißt es nach der Pause, als der slowakische Emigrant Andy Warhol (alias Milan Sladek) mit einem Riesenhamburger im Gebäck auf den Wittlicher Bühnenbrettern anheuert, die diesmal die Neue Welt bedeuten. Der Pop Star und seine Ikone Marilyn stehen im Mittelpunkt von Sladeks "Andy Warhol Reflections", einem Cross-Over aus Musik, Comedy und Pantomime. Einmal mehr wird hier deutlich wie sehr Sladeks "stilles Theater" um die Brüche in menschlichen Verhältnissen weiß. Hinter der schrillen Transvestitenkomik von Marilyns Ballett lauerte schon die Tragödie ihres Todes. Warhols "Abendmahl" ist ein verzweifelter, grotesker Farbwahn, in dem Haurands dumpfer Bass wie eine Totenglocke klingt. wittlicher-kulturtage.de

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