Strahlende Stars, Konkurrenz fürs Kino

Cannes · Gleich am ersten Abend drängeln sich die Stars auf dem roten Teppich des Filmfestivals von Cannes. Für Brisanz sorgen dort in diesem Jahr die Filme eines Streaming-Dienstes, die gar nicht fürs Kinopublikum produziert worden sind.

Cannes (dpa) Es ist ein ungewohntes Bild am Prachtboulevard von Cannes. Direkt vor dem Palais des Festivals, dem Herzen der Filmfestspiele, stehen Metalldetektoren. Ganz so wie am Flughafen, aber nur wenige Schritte vom roten Teppich entfernt, über den in den kommenden Tagen unzählige Stars in eleganter Abendgarderobe flanieren werden. So ungewohnt der Anblick allerdings ist, wirklich überraschend ist er angesichts der angespannten Sicherheitslage in Frankreich nicht. Wer es zum Auftakt des 70. Filmfests aber durch dieses Nadelöhr geschafft hatte, konnte sich im Kinosaal wieder auf das Wesentliche konzentrieren: die Filme.
Zur Eröffnung wurde "Les Fantômes d'Ismaël" (Ismaels Geister) gezeigt. Prominent besetzt mit Charlotte Gainsbourg, Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard und "Bond"-Bösewicht Mathieu Amalric brachte das Werk dem Festival auch gleich die erhoffte Stardosis. Die Fotografen freuten sich über den großen Trubel am roten Teppich unter strahlend blauem Himmel. Zu sehen waren auch Prominente wie Lily-Rose Depp, Robin Wright, Susan Sarandon, Julianne Moore und Bella Hadid.
Kritiker, die das eher zähe Liebesdrama schon vorher gesehen hatten, waren weniger begeistert. In dem Auftakt-Film geht es um den Filmregisseur Ismael (Amalric), der gerade einen Spionage-Thriller dreht, als seine vor über 20 Jahren verschwundene Ehefrau Carlotta (Cotillard) plötzlich wieder auftaucht. So dramatisch der Stoff auch ist, so seltsam leblos wirkt die Geschichte jedoch.
Es kommt zwar zu den erwartbaren Spannungen, gerade auch mit Ismaels derzeitiger Freundin Sylvia (Gainsbourg). Doch Regisseur Arnaud Desplechin erzählt seine Geschichte mit so vielen verschiedenen Handlungssträngen, dass sie zerfasert und einen trotz der Tragik der Dreiecksbeziehung kalt lässt. Die Stars wurden dann auch nur mit äußerst spärlichem Applaus begrüßt, als sie sich bei der Pressekonferenz den Fragen der Journalisten stellten. Eine Chance auf einen der Hauptpreise am 28. Mai hat "Ismael's Ghosts", so der englische Titel, aber sowieso nicht: Das Werk läuft außer Konkurrenz. Im Wettbewerb stehen in diesen Tagen 19 andere Filme auf dem Programm.
Wer von ihnen tatsächlich die Hauptpreise gewinnt, das wird die neunköpfige Jury um den spanischen Regisseur Pedro Almodóvar (67) entscheiden. "Wir werden jeden Film für sich betrachten", kündigte der Oscar-Preisträger ("Alles über meine Mutter", "Sprich mit ihr") an. Auch die US-Schauspielerin Jessica Chastain, die neben Filmschaffenden wie Will Smith und der Deutschen Maren Ade ("Toni Erdmann") ebenfalls zur Jury gehört und am Abend in Abendgarderobe über den roten Teppich schritt, versicherte, sie wolle sich jedem Beitrag aufgeschlossen und mit offenem Herzen nähern.
Mit einem Konflikt aber scheinen die Festspiele schon jetzt konfrontiert: Im Wettbewerb laufen zwei Filme, die vom Streamingdienst Netflix produziert wurden und wahrscheinlich nicht wie andere Beiträge in die Kinos zahlreicher Länder kommen, sondern vor allem bei Netflix zu sehen sein werden. Das wurde im Vorfeld bereits heftig kritisiert.
"Ich sage nicht, dass ich nicht offen für neue Technologien bin", sagte auch Jurychef Almodóvar in einem leidenschaftlichen Appell für das Kino. Er persönlich fände es aber nicht gut, wenn ein Film in Cannes die Goldene Palme gewänne und dann nicht auf der großen Kinoleinwand zu sehen sei.

Extra: STARKE PREMIERE VON "WESTERN"


(dpa) Der deutschen Regisseurin Valeska Grisebach ist eine starke Premiere beim Filmfest Cannes gelungen. Die 49-Jährige stellte am Donnerstag ihren Beitrag "Western" in der renommierten Nebenreihe "Un Certain Regard" vor. Der Film erzählt mit zahlreichen Westernelementen und einem präzisen Blick für seine Protagonisten von deutschen Bauarbeitern, die für einen Auftrag in die Nähe eines bulgarischen Dorfes kommen. Grisebach beobachtet, wie sich die unterschiedlichen Kulturen argwöhnisch beäugen und besonders der Vorabeiter der Deutschen durch sein machohaftes und sexistisches Verhalten für Probleme sorgt. Ein anderer Arbeiter hingegen versucht, auf die Dorfbewohner zuzugehen. Er findet Anerkennung und Freunde - landet aber auch bald zwischen den Fronten. "Western" wird so zu einem spannenden und atmosphärisch dichten Werk über eine kleine Gemeinschaft, die vom Rest der Welt isoliert scheint. Das Werk, für das Grisebach auch das Drehbuch schrieb, wurde maßgeblich von Maren Ades ("Toni Erdmann") Produktionsfirma finanziert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort