Studenten locken Bruckner-Klänge nicht

Trier · Zum ersten Mal konnten Studierende bei der Kammermusikalischen Vereinigung von der "Di-Mi-Do"-Regelung des Studierendenwerks profitieren. Obwohl der Eintritt kostenlos war, blieb der Zustrom zum Konzert begrenzt. Wie reichhaltig und emotionsstark Kammermusik ist, muss sich in der mittleren und jüngeren Generation erst noch herumsprechen.

 Das Reinhold-Quartett zieht rund 180 Zuhörer in den Konzertsaal. TV-Foto: Martin Möller

Das Reinhold-Quartett zieht rund 180 Zuhörer in den Konzertsaal. TV-Foto: Martin Möller

Foto: (g_kultur

Trier. Bruckner war als Komponist ein Spätzünder. Im Alter von 38 Jahren, als andere schon ihre Hauptwerke im Visier hatten, werkelte der Meister von St. Florian noch an seinem ersten und einzigen Streichquartett. Das präsentiert sich mit schnellen Ecksätzen, Scherzo und langsamem Satz, so wie es im Lehrbuch steht. Und wer in die Partitur schaut, der stellt fest: Vortragsbezeichnungen fehlen - das Quartett ist ein reines Studienwerk.
Antistalinistisches Manifest


Gehört so etwas überhaupt in den Konzertsaal? Das Reinhold-Quartett jedenfalls ließ sich vor rund 180 Besuchern im Kurfürstlichen Palais in Trier vom Probecharakter des Werks nicht abschrecken. Die Musiker ließen die Klassizität der Komposition beiseite und konzentrierten sich auf das echt Bruckner'sche in diesem frühen Bruckner - die Nähe zu Chor und Gesang, die ausgeprägte Polyphonie, vielleicht auch Anklänge an den später so eindrucksvollen hymnischen Tonfall. Defizite dabei waren wohl nicht zu vermeiden. So wurde das "Allegro moderato" im Kopfsatz zum Andante und das "Andante" des zweiten Satzes zum Adagio. Im Übrigen hätten mehr Streicher-Farben dem volltönenden, fast schon orches tralen Klang des Reinhold-Quartetts nicht geschadet. Am Ende aber bleibt der Eindruck: Schön, auch dieses Stück mal im Konzertsaal gehört zu haben!
Ganz anders das dritte Streichquartett von Schostakowitsch - ein großes, vielgestaltiges und reifes Werk und ein hintergründig politisches dazu. Da muss sich kein Interpret auf Kompromisse einlassen. Und so spielte das Reinhold-Quartett die Vielfalt dieser Komposition mit ihrem subtil polemischen Unterton ungeschönt aus - ein antistalinistisches Manifest.
Ungleiches Gewicht der Stimmen


Die Musiker betonten im Kopfsatz den Spieluhren-Klassizismus, mit dem Schostakowitsch im Jahr 1946 Abstand nimmt von allem Pomp der Siegesfeiern. Sie gaben dem unechten Serenaden-Tonfall im Werk das angemessen Starre, Maskenhafte mit. Und sie ließen die Musik schmerzlich aufschreien und am Ende versöhnlich und trauernd zugleich ausklingen.
Freilich griffen sie auch da zum breiten Pinsel, wo der zarte Farbstift sinnvoll gewesen wäre. Wie eindrucksvoll hätten gerade bei diesem Werk echte Pianissimi geklungen!
Auch nach der Pause blieben die Probleme nicht ganz aus. Der Opernkomponist und Klaviervirtuose Eugen d'Albert erweist sich in seinem Quartett op. 11 als Meister des differenzierten Quartettsatzes. Da bleibt nichts gestückelt und unbeholfen, und obwohl die Terzenseligkeit im Kopfsatz eine Reverenz an Widmungsträger Brahms ist, hat das Werk insgesamt eine erstaunliche Eigenständigkeit. Beim Reinhold-Quartett bestach vor allem das Scherzo mit seinen impressionistischen Anklängen.
Indessen: Quartettsatz bedeutet, dass alle vier Stimmen am thematischen Prozess teilhaben und dass sich daraus ein Netz von Stimmenbeziehungen entwickelt. Davon war beim Reinhold-Quartett wenig wahrzunehmen. Im Gesamtklang mit einem einseitig dominierenden Primarius und gelegentlich einer überpräsenten Bratsche ging die differenzierte Struktur dieser Musik weitgehend verloren. mö

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