Stürmisches auf und neben der Bühne

Trier · Zur Demonstration geriet das 1. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier unter Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl. Dabei bekam die Musik einiges vom derzeit stürmischen Geschehen rund ums Dirigentenpult ab.

 Dem aufwühlenden Sinfoniekonzert lauschten auch rund 60 Flüchtlinge aus der Trierer Erstaufnahmeeinrichtung. 25 Paten hatten dafür Karten gestiftet. Die Aktion organisierte das Multikulturelle Zentrum in Trier. TV-Foto: Frank Göbel

Dem aufwühlenden Sinfoniekonzert lauschten auch rund 60 Flüchtlinge aus der Trierer Erstaufnahmeeinrichtung. 25 Paten hatten dafür Karten gestiftet. Die Aktion organisierte das Multikulturelle Zentrum in Trier. TV-Foto: Frank Göbel

Foto: Frank Goebel (fgg) ("TV-Upload Goebel"

Trier. Die Musik stand unter Strom. Sturmwarnung war angesagt in diesem 1. Sinfoniekonzert der neuen Konzertsaison. Deutlich merkte man den Musikern des Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier und ihrem Dirigenten die aufgeladene Atmosphäre und die Spannungen an, die derzeit das Verhältnis von Klangkörper und Intendanz bestimmen.
Musik ist bekanntlich etwas Hochemotionales. Ihre Tonsprache veräußert Seelenlagen. Im Trierer Theater wurden am Samstag ganz offensichtlich nicht nur die Befindlichkeiten der Komponisten über die Musik transportiert, sondern auch die der Interpreten.
Das war weiß Gott kein Abend der subtilen Stimmungen. Kampf war angesagt. Der war spätestens in Jean Sibelius' Sinfonie Nr. 2 D-Dur ausgebrochen. Die Musiker spielten, als ob sie in den Krieg zögen. Bereits der erste Satz geriet zum Kriegsgetümmel. Der durchgehend heftige Zugriff tat der Transparenz nicht gut. Kaum erkennbar war die komplexe, hochfeine Struktur der Musik, ihre innere Dynamik, ihre Unterströmungen und ihre Vielfarbigkeit. Verloren gingen Wärme und Weite. Eigentlich schade, hat man doch Victor Puhl schon anderswo als Meister des Feinschliffs erlebt.
Eine Ahnung, was hätte sein können, brachte das flirrende Vivacissimo der Streicher im 3. Satz. Da lief das Orchester zur Hochform auf. Im letzten Satz schienen sich Orchester und Dirigent schließlich endgültig der Interpretation der finnischen Freiheitsbewegung anzuschließen, die seinerzeit die Sinfonie als Aufruf zur Unabhängigkeit (von der russischen Besatzungsmacht) in Anspruch genommen hatte. Die Blechbläser bliesen viel zu laut zum Angriff, die Geigen wetzten die Messer, schneidend scharf im Klang.
Angefangen hatte der Abend träumerisch und mit starken Gefühlen. Zu Beginn hatten die Musiker Anna Thorvaldsdóttirs "Dreaming" gespielt, ein Orchesterwerk der isländischen Komponistin, deren poetische Oper "UR" unlängst im Theater Trier uraufgeführt wurde. Thorvaldsdóttirs Traumstück von 2010 handelt von der Beredtheit der Stille. Was lautlos erscheint, wird in der Komposition der Isländerin als hochfeines vielstimmiges Gewirk hörbar. Ein - auch in der Tonsprache - nicht ganz neuer Ansatz. Bereits hier hätte man sich vom Orchester etwas mehr träumerische Leichtigkeit gewünscht.
Thorvaldsdóttirs Werk folgte im gut ausgewählten Programm Sergeij Prokofieffs berühmtes Violinkonzert Nr. 2, g-Moll op. 63. Als Solist war der israelische Geiger Erez Ofer zu Gast. Zum Höhepunkt des wunderbaren Konzerts geriet der zweite Satz, das berühmte Andante assai mit seinem tröstlichen Ende, bei dem - in Umkehrung des Anfangs - die dunklen Streicher die Melodie aufnehmen, und die Geige ihr Pizzicato zupft. Ofer spielte sichtlich bewegt, tief von innen heraus, mit Schmelz, aber ohne Zuckerguss. Seine sehnsüchtige Geige machte die Musik dringlich und existenziell. Wer mag da ein paar Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Orchester und das vorpreschende Blech im ersten Satz übelnehmen.
Ein völlig erschöpfter, aber selbstbewusster Dirigent verbeugte sich am Ende vor dem jubelnden Publikum, das mit langanhaltendem Applaus und Jubelrufen seine Anerkennung und seine Zuneigung demonstrierte. er

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