Stumme Trauer, sanfter Trost: Schostakowitsch in der Philharmonie

Luxemburg · Es gibt Momente, in denen Musik den schönen Schein ablegt und politisch wird. Nach Nikolai Luganskys perfekt-kühlem Chopin beschworen das Orchestre Philharmonique und Dirigent Emmanuel Krivine vor 1100 Philharmonie-Besuchern eindringlich die Doppelbödigkeit in der Fünften von Schostakowitsch.

 Nikolai Lugansky bleibt bei Chopins Klavierkonzert aristokratisch-kühl. Foto: François Zuidberg

Nikolai Lugansky bleibt bei Chopins Klavierkonzert aristokratisch-kühl. Foto: François Zuidberg

Luxemburg. Die allererste Figur nach der ausgedehnten Orchester-Einleitung, und der Flügel klingt! Nikolai Lugansky nimmt sein Solo in Chopins Klavierkonzert Nr. 2 von Anfang an deutlich, bleibt aber sogar im Fortissimo erstaunlich leger. Dem Hauptthema gibt er etwas Feines, Filigra nes mit. Chopins Königswürde bleibt frei von Trübungen, frei von allem Ungenauen, Ungefähren. Die Kantilenen und die charakteristischen Chopin-Figuren im langsamen Satz feilt Lugansky sorgfältig aus. Und er steuert seine Soli so zielgerecht in die folgenden Tutti-Abschnitte, dass Emmanuel Krivine und das Orchestre Philharmonique seine Impulse nahtlos aufnehmen können.
Es fehlt die Leidenschaft


Und doch: In dieser technisch grandiosen, durch und durch noblen Interpretation fehlt etwas: das Leidenschaftliche, das Schwärmerische, in der abschließenden Mazurka auch etwas an körpernahem Schwung. Lugansky bleibt bei diesem Konzert in aristokratisch-kühl abwägender Distanz.
Befassen wir uns nur kurz mit Mendelssohns einleitender "Melusine"-Ouvertüre - prächtige, melodieführende Holzbläser, eher spröde Streicher und leider bei vollem Orchester ein deutlicher Spannungsabfall. Denn nach der Pause wurde die Fünfte von Schostakowitsch zum eindringlichen Höhepunkt. Mochte die langsame Einleitung nach einem halb missglückten Einstieg noch zäh und unentschieden ablaufen - Krivine und seinem Orchester gelangen danach rasch der Spagat zwischen dem offiziösen Tonfall des sozialistischen Realismus und dem Ausdruck des leidenden zerbrechlichen Einzelnen - ein vertracktes Ineinander von Folgsamkeit und Aufbegehren.
Im Kopfsatz gerät die aggressive Militärparade so schrill, dass darin das Leiden der Unterdrückten spürbar wird. Und im abschließenden, exzellent musizierten "Allegro non troppo" bleibt der Frohsinn oberflächlich und forciert. Am eindringlichsten gerät Krivine und seinem Orchester der langsame Satz. Da beschwören die Streicherkantilenen und die kammermusikalischen Duos die Einsamkeit der Verlassenen - stumme Trauer, aber auch sanfter Trost. Ein musikalisches Glanzstück - nein, mehr: Ein entschiedenes Manifest gegen jede Unterdrückung.

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