Sturm der Emotionen

Konzertante Oper, das klingt so ein bisschen wie Sex im Dunkeln: Irgendwie fehlt was, wenn man nichts sieht. Und dann ausgerechnet Verdis "Otello", eine Action-Oper par excellence. Aber ein Abend in der Philharmonie beweist, dass Musiktheater auch ohne Theater grandios funktionieren kann.

 Franco Farina überzeugt als Otello. Foto: Philharmonie

Franco Farina überzeugt als Otello. Foto: Philharmonie

Luxemburg. Ist das wirklich wahr? Da stehen auf der Bühne ein paar singende Leute in Frack und Abendkleid. Und im Saal herrscht atemlose Spannung, zittert das Publikum vor Aufregung und Mitleid, zerdrückt mancher ein paar Tränen. So kann Opernmusik wirken - wenn man ihr vertraut. Und wenn man sich den Luxus erlauben kann, jede wichtige Rolle mit einem Weltstar zu besetzen.

Es braucht nicht viel, um Verdis Geschichte um Liebe und Eifersucht, Freundschaft und Intrigen, Triumphe und Niederlagen rüberzubringen. Ein paar Gesten und Bewegungen, angedeutete Szenen, darstellerische Präsenz. Keine Kostüme, keine Requisiten, keine Regie.

Vorausgesetzt, Anja Harteros singt die Desdemona. Ein Timbre von wohliger Wärme, die makellose Kunst musikalischer Gestaltung, kein Hauch Übertreibung, und doch ein Sturm der Emotionen: Sie zählt in ihrem Fach zu Recht zu den Größten der Welt.

Wie sie einer gequälten Seele ihre Stimme leiht, wie traurig-schön sie den finalen Ton von Desdemonas "Ave Maria" verlöschen lässt, gleich dem letzten Strahl einer untergehenden Sonne: Wen das nicht berührt, der ist für die Kunstform Musik verloren.

Ihre Kollegen halten mit: Der kurzfristig eingesprungene Franco Farina bietet einen fesselnden, kraftvollen, aber nie ins Brüllen geratenden Otello, faszinierend in seiner - auch stimmlich gut herausgearbeiteten - Zerrissenheit zwischen Liebe und Eifersucht. Franco Vassallo ist ein teuflisch-eleganter Intrigant, zieht seine Strippen auch gesanglich nicht so grobschlächtig wie manch anderer Jago.

Das Mahler-Chamber-Orchestra spielt mit elementarer Wucht. Aber das liegt nicht nur an der jedem Opernhaus überlegenen Akustik der Philharmonie, es hat auch mit der Dirigenten-Kultur von Daniel Harding zu tun. Die meisten Orchester lassen, wenn es wuchtig werden soll, jene Instrumente aufdrehen, die ohnehin laut sind. Harding entwickelt die Durchschlagskraft organisch aus dem Gesamt-Klang.

Deshalb werden die Sänger nicht übertönt, und der Kölner Rundfunk-Chor klingt mit einer 60-Sänger-Besetzung massiver, aber auch genauer als der riesigste Theaterchor.

Über die wechselhaften Tempi mag man streiten. Aber das ändert nichts am umwerfenden Eindruck dieses Abends, für den sich das Publikum mit Ovationen bedankte.

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