Subtile Spannung, besinnliche Reflexion

Einen kammermusikalischen Jazzabend auf Weltklasse-Niveau erlebten Gäste des vom Jazzclub Eurocore veranstalteten Konzerts des Saxofonisten David Liebman und des Pianisten Marc Copland in der Tufa Trier.

 David Liebman begeistert mit lyrischem Jazz in der Tufa. TV-Foto: Anke Emmerling

David Liebman begeistert mit lyrischem Jazz in der Tufa. TV-Foto: Anke Emmerling

Trier. (ae) Dass sie ihren Zuhörern schon durch das intime Duo- Arrangement von Flügel und Tenor- oder Sopransaxofon ein intensives "Sich-Einlassen" abverlangen, ist David Liebman und Marc Copland offensichtlich bewusst. Denn zum Einstieg wählen sie den Herbie Hancock-Klassiker Cantaloupe Island als geschickte Brücke von vertrauten Hörgewohnheiten zu dem, was an diesem Abend zu erleben ist: Eine Musik, die Prozess der Begegnung und Reflexion, und für den, der sich darauf einlassen kann, eine Reise ist, an deren Ende echte Besinnung steht. Die beiden Musiker sind schon ältere Herren mit bedachten Bewegungen und einer Ausstrahlung des In-Sich-Ruhens, die Assoziationen zu weisen Häuptlingen freisetzt. Ein Bild, das biografisch - beide verzeichnen Weltklasse-Karrieren - wie musikalisch passt. Die Souveränität des Darüberstehens, des Nichts-Mehr-Beweisen-Müssens gibt ihnen den Freiraum für Musik, die sich viel Zeit zur Entwicklung komplexer, subtiler Klanggemälde lässt. In der Eigenkomposition "Night Whispers" malen ausgleichend beschwörende Pianotöne und die sich zickig gebärdende Stimme des Saxofons das Bild vom spannungsreichen Dialog eines Pärchens. In "Lost Horizon" stimmt Liebman auf dem Sopransaxofon klagende, sehnsuchtsvolle Töne an, die von weichen elegischen Pianosoli Coplands weitergeführt werden, bis man sich als Zuhörer selbst in der Weite des Horizonts verliert. Während Copland seine feinen, oft balladesken Fäden auf dem Flügel spinnt, schließt Liebman versunken die Augen. Die Musiker scheinen seelenverwandt, jeder weiß scheinbar genau, worauf der andere hinauswill. Nicht nur deshalb ist ihre Musik lebendiger Reflexionsprozess, es geht tatsächlich auch um Gedankenspiele, beispielsweise zur Wahl Obamas. Nicht auf alle Zuhörer wirkt das ohne Pause gespielte Konzert "entschleunigend", sporadische Unruhe kündet auch vom Gegenteil. Aber als Weltklasse-Profis schaffen Liebman und Copland versöhnlichen Ausgleich mit einem poetischen Coltrane-Arrangement, dem Standard Funny Valentine und einer Blockflöten-Pianomelodie, die nachhallen lässt, was diesem Konzert gelungen ist, zur Besinnung zu rufen.

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