Szenarium untergehender Werte

TRIER. Die dritte Ausstellung im Rahmen des neuen Kunstkonzepts der Tufa zieht derzeit das Interesse zahlreicher Medien auf sich. Das liegt einerseits am internationalen Renommee des Künstlers Liu Guangyun, vor allem jedoch an seinem durchaus politischen Thema. "Chiffren der Veränderung" beschäftigt sich mit dem Wertewandel in der chinesischen Gesellschaft.

Wie der Name schon sagt, birgt die Ausstellung "Chiffren", Zeichen, die entschlüsselt oder "doppelt übersetzt" werden wollen, "aus dem Chinesischen und der Sprache der Kunst", wie es Kunstwissenschaftlerin Christina Biundo zu Beginn einer Führung ausdrückt, in der sie die Rolle der ,Dolmetscherin' übernimmt. Die Betrachter erfahren sehr schnell, was sie damit meint. "Ästhetisch", beschreibt zum Beispiel ein Besucher seinen ersten Eindruck von einem der klar flächig aufgeteilten Bilder mit roten linearen Strukturen. "Ja", sagt Christina Biundo, "es wirkt zunächst als autonomes Kunstwerk auf Sie." Dann aber erläutert sie den Hintergrund, das "Chinesisch": "Auf diesem Materialbild mit dem Titel ,Das Leben aufräumen' wird eine traditionelle, inzwischen fast ausgestorbene, Technik der Stoffherstellung für Schuhe unter einer Wachsschicht buchstäblich konserviert. Gleichzeitig wird sie entfremdet, indem sie auf eine ästhetische Ebene entrückt wird." Schlagartig erschließt sich den Besuchern die tiefere Dimension dessen, was sich als Kernthema durch die Ausstellung zieht: Veränderung, Ersatz von Traditionen durch Sinnentleertes. Liu Guangyun, der als Kunstprofessor in Shanghai lehrt, hat seine Konzeption über Jahre hinweg erarbeitet und weltweit ausgestellt. Jede seiner Werkgruppen hat eine Bedeutung als Puzzleteil eines Gesamtbildes vom Wandel einer Kultur: Weg von natürlicher Lebensweise, hin zur Schaffung eines neuen zivilisatorischen Korsetts aus verlockenden Ersatzwerten. Sehr berührt zeigen sich die Besucher der Führung bereits von der ersten Installation "Raumwechsel". Ein Video zeigt den Künstler, wie er Löcher in eine Wand schlägt und sie anschließend mit Kunstharzziegeln schließt, in die Bauschutt und Fotos von Bauarbeitern aus Shanghai (Stadt des Aufbruchs und der Mobilität) eingegossen sind. "Die Mauer steht hier als Symbol der chinesischen Tradition, die löchrig und mit sinnentfremdeten Elementen aufgefüllt wird", erklärt Christina Biundo. Ihre Gäste entdecken weitere Symbole, rote Farbe wie Blut und diskutieren über den Schmerz von Veränderungsprozessen, aber auch über die starke Ästhetik der künstlerischen Umsetzung.Dokumentation und Poesie

"Das ist Dokumentation und Poesie", meint eine Besucherin. In der Tat wirkt die Symbolik Liu Guangyuns nie plakativ. Sie bedient sich vielmehr subtiler Zeichen, Chiffren eben, wie die der Seidenraupenkokons, die unter einem dicken Panzer aus Plexiglas und Kunstharz zum Bild eines verlassenen Lebensstadiums erstarren. Sehr deutlich wird der Künstler nur in seinem letzten Werk, dem "Fiktiven Denkmal", in dem der ursprünglich steinerne Obelisk, der in der chinesischen Kultur für Ewigkeit steht, von einem Turm aus Fernsehgeräten ersetzt wird. Die Teilnehmer der Führung sind begeistert. Weit über zwei Stunden haben sie in der Ausstellung zugebracht und bei spannenden Diskussionen Kunst erfahren. Eine weitere Führung findet heute um 18 Uhr im 2. Obergeschoss der Tufa statt. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. April zu sehen.

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