Theater Wer ist hier anders?

Trier · Ein Hollywood-Klassiker über zwei ungleiche Brüder – und bitte keine Vergleiche mit Dustin Hoffman oder Tom Cruise: Wie das Theater Trier „Rain Man“ auf die Bühne bringen will.

 Klaus-Michael Nix (von links) spielt Raymond Babbit, den „Rain Man“, Dimetrio-Giovanni Rupp seinen Bruder Charlie und Anna Pircher Charlies Freundin Susan. Alexandra Marisa Wilcke führt in Trier Regie.

Klaus-Michael Nix (von links) spielt Raymond Babbit, den „Rain Man“, Dimetrio-Giovanni Rupp seinen Bruder Charlie und Anna Pircher Charlies Freundin Susan. Alexandra Marisa Wilcke führt in Trier Regie.

Foto: TV/Andreas Feichtner

„Rain Man“? Da tröpfelt die Erinnerung bei denen, die den Filmklassiker von 1988 gesehen haben, wohl eher einst als gestern. Kopfkino mit Retrofilter: Der junge Tom Cruise als Charlie, zu Beginn der gnadenlose Unsympath. Dann der grandiose Dustin Hoffman als Charlies ungleicher Bruder Raymond, verblüffend, kaum vorhersehbar. Vielleicht schafft es auch die Musik von Hans Zimmer ins Hier und Jetzt, der mit dem Film oben ankam.

Mit Dustin-Hoffman-Vergleichen braucht man Klaus-Michael Nix nicht zu kommen, auch nicht mit 80er-Patina, die über dem Film liegt. Das triggert nichts, nirgends. Nix spielt in Trier den „Rain Man“, Raymond Babbit, einen Autisten mit Asperger-Syndrom, der sich jede Nummer im Telefonbuch merken könnte, aber dessen Welt aus den Fugen gerät, wenn der Ahornsirup nicht schon vor dem Pfannkuchen auf dem Tisch steht.

Was Nix anders macht als Dustin Hoffman? Falsche Frage, weiß er nicht. „Ich habe den Film gar nicht gesehen“, sagt der dienstälteste Trierer Theater-Schauspieler, der seit 1996 im Ensemble ist. Aus gutem Grund habe er das vermieden. „Es besetzt die Fantasie. Dustin Hoffman hat den Oscar für diese Rolle gewonnen, er wird super Lösungen gefunden haben.“ Eben da lauere die Gefahr: Die Bilder setzen sich zu sehr fest, blockieren das eigene Spiel. „Und dann finde ich nicht mehr meinen Spielraum, das Stück zu entdecken.“ Klaus-Michael Nix hat sich nicht erst für diese „spannende, herausfordernde Rolle“ mit dem Thema Autismus auseinandergesetzt. Vor zwei Jahren hatte er bei einem Projekt ein halbes Jahr lang mit Autisten und Geschwisterkindern gearbeitet.

Das Schauspiel von Dan Gordon, das in Trier von Alexandra Marisa Wilcke inszeniert wird und das am Samstag Premiere im Großen Haus feiert, basiert auf dem Spielfilm. Es ist die Geschichte des geldfixierten Egozentrikers Charlie Babbit, der erst nach dem Tod des verhassten Vaters seinen Bruder Raymond kennenlernt – Charlie geht beim Nachlass leer aus, Raymond erbt Millionen, hat aber kein Interesse an Geld. Charlie, der in Trier von Dimetrio-Giovanni Rupp gespielt wird, reist mit Raymond durch den Westen der USA. Eine größere Rolle spielt auch Charlies Freundin Susan, die in Trier von Anna Pircher gespielt wird. Pircher und Rupp begeisterten in der vergangenen Spielzeit schon in „Blue Jeans“, aber das nur am Rande. Raymond und Charlie kommen sich näher, aber mehr wird nicht verraten.„Mir ist es wichtig, die Geschichte der beiden Brüder zu erzählen. Das ist es, was mich berührt und auch fasziniert“, sagt Regisseurin Alexandra Marisa Wilcke, die die Rolle der Anna selbst schon bei der sehr erfolgreichen Inszenierung vor neun Jahren in Stuttgart gespielt hat, damals inszeniert von Manfred Langner. „Im Theater habe ich andere Mittel als im Film, wo ein Ausschnitt durch die Kamera gezeigt wird und ein anderer Realismus hergestellt wird. Im Theater spiele ich viel mehr mit der Fantasie der Zuschauer“, sagt Wilcke, die sich vor allem als Schauspielerin, Sängerin und Synchronsprecherin (unter anderem von Kate Winslet, Juliette Lewis und Charlize Theron) einen Namen gemacht hat. Für die Inszenierung hat Wilcke die Musiktherapeutin Sandra Homberger als Fachberaterin engagiert, die seit Jahrzehnten mit Autisten zusammenarbeitet. So begann die Vorbereitung auf „Rain Man“ für das Ensemble auch schon im Juni mit einem zweieinhalbtägigen Workshop mit Sandra Homberger.

Das auffällige Verhalten des „Rain Man“ sei keine Krankheit, sagt Wilcke. „Es ist eine Entwicklungsstörung, die dazu führt, dass sie sich anders benehmen. Wir haben Filter im Kopf. Und mit diesen Filtern leben wir und blenden bestimmte Dinge aus. Das können Autisten nicht – das ist gravierend und führt dazu, dass wir sie als andersartig wahrnehmen. Für den Autisten sind dagegen wir die Andersartigen.“ Viele hätten Berührungsängste mit Autisten: „Aber erst wenn ich in Berührung komme und offen bin, dann erfahre ich eine Horizonterfahrung. Und im besten Fall – der beiden Brüder – ist es eine gefühlsmäßige, seelische Erweiterung, die beide näher bringt. Die Geschichte des Autisten und des Egoisten, der emotional ein Krüppel ist und der Herz und Gefühl entdeckt – die wollen wir bis zum Ende des Stücks erzählen.“ Eine Komödie sei das Theaterstück nicht. Aber die Situationskomik soll für einige Lacher sorgen. Wie einst im Film.

Für die Premiere am 28. September, 19.30 Uhr, gibt es noch Restkarten; weitere Termine am 5. und 22. Oktober.

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