Theater „Ich fürchte mich nicht, vor nichts und niemandem“

Trier · Das Theater Trier inszeniert „Marlene“ als eine Hommage an die große Bühnenkünstlerin aus Berlin, die sich aktiv gegen Hitler-Deutschland engagierte und als emanzipierte Frau zur Ikone wurde.

 Marlene, gespielt von Stephanie Theiß, sitzt vor ihrem Auftritt in Berlin in der Garderobe des Theater.

Marlene, gespielt von Stephanie Theiß, sitzt vor ihrem Auftritt in Berlin in der Garderobe des Theater.

Foto: Marco Piecuch

Wie sich ein Shitstorm anfühlt, das musste Marlene Dietrich bereits Jahrzehnte vor dem Internet erleben. Hass, Drohungen und anonyme Hetze begleiteten die Berliner Schauspielerin, die von 1930 an in Hollywood Karriere machte und Hitler-Deutschland die kalte Schulter zeigte, immer wieder. Die Frau, die kurz vor Kriegsbeginn ihre deutsche Staatsbürgerschaft zurückgab, für US-Truppen sang und Geflüchtete im Krieg unterstützte, war auch 1960 noch in der Heimat als Vaterlandsverräterin verschrien. „Marlene raus“, „Marlene go home“ schlug es ihr entgegen, als sie zum Auftakt ihrer Europa-Tournee als Sängerin nach dem Krieg erstmals wieder nach Berlin kam. Ein aufwühlender Moment, den das Theater Trier nun auf die Bühne in der Europäischen Kunstakademie (EKA) in Trier bringt.

Das Stück „Marlene“ der britischen Autorin Pam Gems fokussiert auf diesen einen Abend im Jahr 1960. Marlene ist zurück in der lange gemiedenen Heimat, und bevor sie den Berlinern jene Songs singt, mit denen sie den US-Soldaten im Krieg ihre Kampfpausen versüßt hatte, öffnet sie sich unter dem Eindruck von Protestlern vor dem Theater, Heimatgefühlen und Lampenfieber ihrer Garderoben-Assistentin (überzeugend dienstbeflissen und bewundernd: Marsha Zimmermann) und gibt tiefe Einblicke in ihr Leben. Das Bühnenbild (Bühne: Alexander Roy) ist denkbar einfach: eine Garderobe, die fürs Konzert später abgetrennt wird – Kleiderständer, Spiegel, Sessel, spanische Wände – die 180 Zuschauerplätze in Hufeisenform rundum platziert.

Obwohl sich andere große Künstler Marlene weiter zuwenden – darunter Hemingway, Jean Gabin, Friedrich Holländer, Hildegard Knef –, fühlt diese sich einsam, leidet unter dem Altern, lästert über „die „Journallie“ und frönt ihrem Hygienetick, indem sie erst mal zu Gummihandschuhen und Besen greift. Bevor sie zu „Lili Marlen“ und „Sag mir, wo die Blumen sind“ anhebt, lässt sie ihrem Schmerz darüber freien Lauf, dass sie sich von der Heimat und damit ihrer Mutter abgewendet hatte.

Stephanie Theiß bringt diese Marlene zum Glänzen: 90 Minuten lang, ohne Pause, ist sie als eine sprachgewaltige Diva präsent, die ihre eigene Inszenierung bis ins Detail selbst bestimmt, die sinniert, seufzt und singt. Ihre langsamen souveränen Gesten, der Augenaufschlag und die tiefen Verbeugungen vor dem Publikum erinnern tatsächlich an die große Marlene Dietrich. Penibel studiert diese Frau die scheinbar spontane Blumenübergabe (Lara Fritz, Luisa Gärtner, Lana Zehren) für den Applaus des Abends ein, herrscht ihre Assistentin an und legt sich Antworten zurecht, die sie dem Reporter der New York Times zu geben gedenkt. Aber dann der Auftritt: All die bekannten Lieder, vom schmissigen „Boys in the backroom“, das Theiß nach schier endlos gehaltenem Finalton den ersten Applaus des Publikums einbringt, bis zum melancholischen „Wenn ich mir was wünschen dürfte“, sensibel begleitet von Angela Händel am Flügel (musikalische Leitung) und Peter Kasper am Kontrabass. Theiß gelingen die temperamentvollen, vor Selbstbewusstsein strotzenden Songs noch wirkungsvoller als die traurigen wie „Sag mir, wo die Blumen sind“, in denen gesprochene oder gehauchte Worte die Melodie an manchen Stellen ersetzen. Treffend auch: die authentischen Kostüme vom weißen Nerz bis zum hautfarbenen Paillettenkleid (Kostüme: Yvonne Wallitzer).

Gott sei Dank bleibt die Inszenierung von Andreas von Studnitz nicht bei privatem Herz-Schmerz stehen. Das würde dem historischen Vorbild nicht gerecht. Ihren Widersachern hält Marlene Bergen-Belsen entgegen, das KZ, das sie gleich nach dem Krieg besuchte. „Hitler hat uns die Seele im Leib umgedreht“, sagt sie einem Reporter, dessen Stimme eindrucksvoll im abgedunkelten Raum vom Band eingespielt wird, und entgegnet ihren Kritikern „Warum kann ich nicht sein, wer ich bin?“ Und selbstbewusst: „Ich fürche mich nicht, vor nichts und niemandem.“

Trotz beachtlicher schauspielerischer Leistungen kommt das Format „Schauspiel mit Musik“ bei „Marlene“ an seine Grenze. Als Bühnenstück fast ohne Choreographie (Dramaturgie: Lara Fritz, Philipp Matthias Müller) und kaum Handlung wird das dramatische Leben der Künstler-Ikone eher erzählt als gespielt. Damit ist „Marlene“ sicherlich kein Stück zum Mitfiebern, sondern bleibt viel auf der Reflexionsebene. Das setzt auch beim Zuschauer einiges Wissen voraus. Es reiht sich ein in Stücke nach ähnlichem Strickmuster zu Edith Piaf, Florence Foster Jenkins, Albert Camus oder Erich Kästner (zwei Gastspiele), die allerdings alle den Nerv des Publikums getroffen haben.

Die Premierenzuschauer waren von „Marlene“ begeistert, spendeten Zwischenapplaus und Standing ovations zum Schluss. Ein großer Erfolg stand schon vor der Premiere fest: Alle acht Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Das Theater will zusätzliche Termine anbieten.

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