Oper Raubein, Außenseiter, Sündenbock, Poet
Trier · Im Theater Trier feiert am Samstag Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ Premiere. Inszeniert wird das Meisterwerk von Frédéric Roels, dem Direktor der Opéra Grand Avignon.
Schon bei den ersten Streicherklängen habe er erkannt; „Das ist ein Meisterwerk“, erinnert sich der britische Komponist Buxton Orr an seinen Besuch von Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“. Überhaupt beeindruckte das Werk den Schotten zutiefst. Britten – schwärmte Orr - sei nun mal ein Komponist, der wie kaum ein anderer gleichermaßen musikalisch wie szenisch denke. Am Wochenende feiert die berühmte frühe Oper des Engländers, die zum Kanon der Opern-Weltliteratur gehört, am Theater Trier Premiere.
Eben mal 32 Jahre alt war Britten, als sein Werk, dem das Gedicht „The Borough“ (der Bezirk) seines Landsmanns George Crabbe von 1830 zugrunde liegt, 1945 in London im Sadler`s Wells Theatre uraufgeführt wurde. Erst drei Jahre vorher war er mit seinem Partner dem Tenor Peter Pears aus den USA zurückgekehrt, wo der Pazifist auf Anraten der Britischen Botschaft während des Zweiten Weltkriegs geblieben war.
„Peter Grimes“ ist die Geschichte des titelgebenden gleichnamigen Fischers, der als ungeliebter Außenseiter in einem Dorf an der englischen Küste lebt. Als ihm vorgeworfen wird, den Tod seines Lehrlings verschuldet zu haben, wächst die Ablehnung der Dorfbewohner, die dem Eigenbrötler ohnehin seit jeher mit Misstrauen und Vorbehalt begegnen. Obwohl er als freier Mann den Gerichtssaal verlässt, bleibt er für die Dorfbewohner, die längst ihr Urteil gefällt haben, schuldig. Nur die Lehrerin Ellen hält zu dem raubeinigen Mann mit der empfindsamen Seele, den sie liebt und mit dem sie sich eine gemeinsame Zukunft erträumt. Als ein weiterer Lehrling umkommt, kennt der aufgestaute Zorn und Hass der Menge keine Grenzen.
„Peter Grimes“ ist, kurz gesagt, eine Parabel von der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem kollektiven Bewusstsein der Masse und seiner vernichtenden Dynamik. Für Britten bleibt solche Massendynamik die Summe sich gegenseitig verstärkender Einzelelemente. „Je bösartiger die Gesellschaft, desto bösartiger der Einzelne“, notierte er düster.
Als Kooperation mit der Opéra Grand Avignon inszeniert Frédéric Roels die Oper aus Prolog und drei Akten am Theater Trier. Nach Richard Strauss „Rosenkavalier“ ist es die zweite Kooperation der beiden Häuser, eine Initiative, die auf Operndirektor Jean-Claude Berutti zurückgeht.
Auch für den Direktor der Oper in Avignon ist Peter Grimes ein Werk über Außenseitertum und die Psychologie der Masse. „Jede Gesellschaft produziert ihre Außenseiter, ihre Sündenböcke und Menschen, die außerhalb einer Gruppe stehen. In ihnen stellen sich kollektive Ängste dar, die in Hass und Unmenschlichkeit ausarten können“, sagt der Regisseur im Gespräch. Peter Grimes – so Roels - führe ein Leben, das wie seine Sprache so ganz anders sei, als das Leben der übrigen Fischer. Gewiss sei seine Existenz asozial, erklärt der Regisseur, aber Grimes lebe von seinem Traum, sich nach einem reichen Fischfang einst eine bürgerliche Existenz erkaufen zu können. Für den Franzosen lebt Grimes außerhalb der alltäglichen Welt. „Ich sehe in ihm den Prototyp des Poeten, der die Welt mit anderen Augen sieht und der das, was er beobachtet und erlebt, mit anderen Worten ausdrückt als der normal Sterbliche“, sagt Roels.
Man darf annehmen, dass auch dem Komponisten und homosexuellen Künstler Britten Einsamkeit und Außenseitertum nicht fremd waren. Wie den Schotten Orr fasziniert auch den Franzosen Roels die geniale Struktur der Oper. „Benjamin Britten gehört zu der Handvoll Komponisten, darunter Mozart und Wagner, die in jedem Moment eine tiefe Wechselwirkung zwischen Text und Musik erreichen“, erklärt der Regisseur. „Dieses Opernwerk besitzt eine keinen Augenblick nachlassende Intensität, bei der jede Note, jeder Rhythmus im Dienst des Dramas stehen“.
Eine zentrale Rolle spielt in der Oper das Meer, in dessen wechselnden Stimmungen sich Seelenzustände spiegeln oder drohende Gefahren ankündigen. Was kaum verwundert, war der Insulaner Britten doch bestens mit der maritimen Erlebniswelt vertraut. Die Rolle des Peter Grimes singt in der Trierer Inszenierung Thorsten Büttner, die der liebenden Ellen ist mit Arminia Friebe besetzt. Die musikalische Leitung hat Jochem Hochstenbach.
Premiere: 1.April, 19.30 Uhr, Theater Trier, Großes Haus