Theater Wenn die Luft wegbleibt

Trier · Schmerzvolle Seelenentblößung: Sara von Schwarze inszeniert fürs Theater Trier das Monodram „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ mit Klaus-Michael Nix.

 Klaus-Michael Nix in seiner Rolle als ein ganz gewöhnlicher Jude.

Klaus-Michael Nix in seiner Rolle als ein ganz gewöhnlicher Jude.

Foto: TV/Marco Piecuch

Eine Zumutung! Als solche empfindet Emanuel Goldfarb die Bitte eines Sozialkundelehrers, vor seiner Klasse einen Vortrag über sein Leben als Jude in Deutschland zu halten. Bedeutet es doch, dass sich der Journalist mit seiner Biografie befassen muss, über die er offensichtlich lange nicht mehr nachgedacht hat. Und so setzt er sich spontan an seinen Laptop, um einen Brief zu schreiben, der eine Absage werden soll, der allerdings dazu führt, dass er immer tiefer in Grübeleien über sein eigenes Leben als Jude in Deutschland versinkt.

„Ein ganz gewöhnlicher Jude“ ist der Titel von Charles Lewinskys Mono­dram, das Sara von Schwarze mit Klaus-Michael Nix in der Europäischen Kunstakademie inszeniert hat. Von Schwarze wurde in München geboren und kam als Dreijährige nach Israel, wo sie in einer ultra-orthodoxen Umgebung aufwuchs und das Gefühl der Unbehaustheit am eigenen Leib erleben musste. Was den Schluss nahelegt, dass die überzeugende Figurenzeichnung nicht zuletzt durch die Erfahrungen der Regisseurin abgerundet wurde.

Wer also ist dieser Goldfarb, dessen mehr angedeutete als ausgestaltete Umgebung ihn als Intellektuellen klassifiziert (die Bücher im Regal, die auf dem Boden verstreuten Zeitschriften – das karg-kalte Bühnenbild stammt von Avi Sechvi)? 1959 geboren, ist er „nur“ ein Nachleidender, kein unmittelbar Betroffener, der dennoch die Traumata seiner Eltern und Großeltern niemals aus seinen Genen herausbekommen wird.

Trotzdem will er kein Objekt des Mitleids und der Nachsicht sein – vor allem nicht bei jenen Menschen, die sich zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem „auserwählten Volk“ mit jüdischer Folklore umgeben und sofort in den Betroffenheitsmodus wechseln, wenn sie einem „Mitglied dieser Religionsgemeinschaft“ gegenüberstehen. „Antisemiten würgen, Philosemiten umarmen. Und bei beiden bleibt mir die Luft weg“, resümiert Goldfarb.

Es ist denn auch nicht der Antisemitismus, der ihn besorgt (und dessen aktuelle Auswüchse das Stück, 2007 uraufgeführt, ohnehin nicht berücksichtigen kann). Sondern die ihm immer wieder aufgezwungene verhasste Sonderrolle, weil sie ihn mit unbequemen Fragen und seinen eigenen Zweifeln konfrontiert. Und dass es ausgerechnet ein Goj, ein Nichtjude ist, der ihn dazu veranlasst, darüber nachzudenken und (sich) Rechenschaft abzulegen, bringt ihn besonders in Rage.

Mit selbstquälerischer Genauigkeit seziert Nix seine Figur und vermag damit auf subtile und manchmal sehr arrogant-burschikose Weise die Zerrissenheit, aber auch die Überheblichkeit, den Zynismus und die Verbitterung zu vermitteln, die sich in seinem Goldfarb angesammelt haben. Wie sehr er selbst mit seiner Religion hadert, die ihm doch eigentlich gleichgültig sein sollte und deren  komplizierte Gebetsrituale er trotzdem souverän nachvollzieht; die Erinnerungen an seine Ehe mit einer Katholikin, die sich weigert, den Sohn beschneiden zu lassen – ein Brauch, den Goldfarb nur aus dem einen Grunde vollzogen wissen möchte, damit er mit diesem Jungen etwas gemeinsam hat. Welche Narben auf seiner Seele liegen, lässt er erahnen, wenn er Familienfotos herausholt und sie nach den Kategorien „Theresienstadt, Auschwitz, Kanada, verschollen“ sortiert anstatt, wie „normale Deutsche“, nach Ferienorten, Geburtstags- oder Weihnachtsfeiern. Ganz nebenbei ist das Stück auch eine Lehrstunde in Sachen Judentum. Da wird Goldfarb dann doch zum Dozenten vor einer imaginierten Schulklasse, wenn er über die Geschichte seiner Religion, über die 365 Verbote und 248 Gebote der Thora spricht und von Feiertagen und Traditionen erzählt.

Gewiss, das Stück ist nicht frei von Klischees. Sich diesem Thema ohne vorgestanzte Meinung zu nähern dürfte ohnehin unmöglich sein. Sara von Schwarze und Klaus-Michael Nix erschaffen immerhin eine Figur, die in jedem Moment plausibel wirkt – mit ihren guten und schlechten, den selbstquälerischen und selbstgefälligen Zügen. Eine schmerzvolle Seelenentblößung, 90 intensive Minuten, der das Publikum mit angespannter Konzentration folgt.

Weitere Vorstellungen in der Europäischen Kunstakademie am 25. Oktober., 12. und 13. November; Karten: 0651/718-1818. Das Stück ist auch für Vorstellungen in Schulen buchbar.