Theatergeschichte(n)

Krumpernschniedscher und Bagels: Nadia Migdal hat den Tisch in ihrer Dachgeschosswohnung in Trier-Nord mit Speisen aus dem Familienkochbuch gedeckt. Doch ihre Ahnen sind weder aus der Region noch aus den USA.

 Schauspielerische Annäherung an die Großeltern: Nadia Migdal in „Drei Tode und ein Leben“. Foto: Vincenzo Laera

Schauspielerische Annäherung an die Großeltern: Nadia Migdal in „Drei Tode und ein Leben“. Foto: Vincenzo Laera

Foto: (wh_wst )

Die Schauspielerin am Trierer Theater hat jüdisch-polnische Vorfahren. Davon zeugen die Gerichte: "Placki" (polnische Kartoffelpuffer) und Bejgel (jiddisch), ein in Osteuropa typisch jüdisches Hefegebäck. Ihre Bagels, gibt Migdal zu, seien nicht selbst gemacht - zu aufwendig, muss sich die 31-Jährige doch auf den Lieder- (ab 21. April) sowie auf ihren Solo-Abend am Sonntag, 10. April, 21 Uhr, vorbereiten. Dann, so verspricht sie, wird sie den Gästen an der großen Tafel im Theaterstudio selbst zubereitete Speisen nach Originalrezept der Großmutter Róza servieren. "Meine Oma hat wahnsinnig viel gekocht", sagt Enkelin Nadia. Über die sinnliche Erfahrung beim gemeinsamen Essen mit dem Publikum möchte die Enkelin den Einstieg in die Geschichte von Róza und Leon schaffen. "Drei Tode und ein Leben" nennt sie ihr Stück. Und erzählt, dass ihre Großeltern einen Tag vor dem deutschen Angriff auf Russland im Juni 1941 geheiratet haben. Und von deren Flucht aus Ostpolen - heute Weißrussland - über die Ukraine nach Stalingrad. Ein Zickzackweg, bei denen die beiden oft dem Tode nahe waren und schrecklichen Hunger litten. Ein Weg vorbei an Leichen, die in der Wolga schwimmen. Nadia Migdal hat viel zu erzählen, zügig spricht sie, steht auf vom Stuhl, geht umher, gestikuliert mit den Händen. Taucht tief ein in die Geschichte ihrer Großeltern, die einzigen aus der Familie, die überlebt haben. Nach dem Krieg kehren sie zurück nach Polen. Doch aufgrund der antisemitischen Welle in ihrer Heimat emigriert die Familie 1964 nach Schweden. Migdal hat sich intensiv mit der Geschichte ihrer polnischen Verwandten auseinandergesetzt. Erst kürzlich fuhr sie in deren Heimat. Vielleicht wird Nadia Migdal am Sonntag auch die Geschichte des Mantels ihrer Oma erzählen. "Wir haben uns als Kinder gerne verkleidet", sagt sie. "Meine Oma hatte einen kleinen begehbaren Kleiderschrank." Dort hing ein Mantel mit Pelzkragen. "Wenn ich ihn anzog, hatte ich die Vorstellung, dass ich die Oma bin, die auf ihrer Flucht durch die ukrainischen Steppen läuft." Sie habe gedacht, das sei der Originalmantel. "Er war es nicht. Der hing, in Zellophan gepackt, im Schrank meines Opas - es gibt ihn heute noch." Migdal möchte es nicht bei einem Porträt belassen, sondern sich auch musikalisch ihren Großeltern nähern, "mit Liedern, die ich mit ihnen verbinde, die wir gemeinsam gesungen haben. Musik ist ein Teil von mir." Und von der Familie: Ihr Vater war Pianist, ihre Schwester Liv ist Violinistin, auch Nadia spielte als Kind Geige. In Bochum aufgewachsen, entdeckte Migdal früh das Theater für sich. Ausschlaggebend sei das Stück "Der Vater" von Joshua Sobol und Niklas Frank, dem Sohn des "Schlächters von Polen", Hans Frank, am Schauspielhaus Bochum gewesen. Sie selbst spielte dort in kleinen Rollen und im Jugendclub bei Annette Raffelt mit: "Sie hat uns junge Menschen an die Hand genommen und gefördert." So begann Migdal 2005 ihre Schauspielausbildung an der Hochschule der Künste in Zürich. Von 2009 bis 2013 war sie fest in Tübingen engagiert, danach freiberuflich tätig, auch am Burgtheater Wien. Und dann kam das Angebot von Schauspieldirektor Ulf Frötzschner in Trier, den sie aus Tübinger Zeiten kennt. "Wir wollten immer mal zusammenarbeiten." In Trier können sie dies. Nun gibt er ihr die Chance, sich ganz persönlich vorzustellen. "Ich hoffe, mit meinem Portrait bei den Zuschauern etwas zum Schwingen zu bringen. Ein Wort aus der jüdischen Tradition lautet: ‚Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung'." Mechthild Schneiders

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