Social-Media-Trend Männer verraten, wie oft sie im Alltag wirklich an die alten Römer denken
Trier · Ein neuer Trend wabert durch die Social-Media-Kanäle: Frauen fragen Männer, wie oft diese an die Römer denken. In unserer Region müsste die Frage wohl eher lauten: Wann können Sie mal NICHT an diese denken?
„Wie oft denkst du ans Römische Reich“, fragt die Frau in die Kamera. Adressat ist ein junger Mann hinter ihr. Antwort: „So vier bis fünf mal die Woche.“ Schweigen. Und die Fragestellerin, die sich im Netz „Alyciamarie“ nennt, schaut ungläubig in die Linse: „Warum denn so oft? Was denkst du denn da?“ Tja, was wohl? Ertappt ist da der Mann bei etwas, das wahlweise für Belustigung oder Staunen sorgt. Denn „Nico“, so sein Name, meint es ernst, nennt Schwerter und Wasserversorgung als Grund, ans olle Imperium der Römer zu denken. „Hey, das war die coolste Ära, die es mal gab.“ Ob das seine Freundin überzeugt?
So ergeht es derzeit offenbar wohl vielen anderen Vertretern des männlichen Geschlechts in Sozialen Medien. Mann muss sich rechtfertigen, wenn er ihre Frage nach den Römern mit „Ja“, „Manchmal“ oder „Ab und an“ beantwortet - so wie Influencer Julien Bam: „Ich denk schon darüber nach. Ihr nicht?“, antwortet der Youtube-und Fernsehstar auf die Frage und verweist auf seine Heimatstadt Aachen. Da hätten die Römer ja auch Bäder genommen. Und tatsächlich nutzten schon unsere antiken Vorfahren die Thermalquellen der Kurstadt. 1,9 Millionen Abrufe erzielte Julien Bams Reaktion, die erst an diesem Mittwoch publiziert wurde. 1,1 Millionen Mal wurde ein anderer Clip aufgerufen, der schon vor sechs Tagen herauskam. „Die Römer waren voll groß, und denen begegnet man im Alltag“, rechtfertigt sich da ein über die Frage erstaunter Adressat auf die Rom-Frage. Irgendjemand würde dann etwa über Cäsar sprechen. Erstaunte Reaktion der Filmemacherin, die „nie“ an die Römer denken würde: „Wer redet denn über Cäsar?“
Wer übrigens bis hierhin eine Wissenslücke noch nicht offenbart hat, hier die Auflösung: Ist von Rom die Rede, meint man(n) ein Imperium, welches vor 2000 Jahren ganz Süd- und Westeuropa umfasste und sich von der britischen Insel bis in die heutige Türkei erstreckte. Den Anfang machen die Geschwister Romulus und Remus, die von einer Wölfin gezeugt und später die Stadt Rom gründen. Auf sie folgen erst einige Könige, dann eine Republik mit Konsuln und Senat (Star Wars lässt grüßen), schließlich ein Alleinherrscher, nämlich DER Cäsar (bekannt aus den Asterix-Comics), Augustus und noch mehr Cäsaren, wie die römischen Kaiser auch genannt wurden. Sie beherrschen ein Reich, welches Kanäle, Straßen und Städte nach strengen Vorgaben errichtet - Fußbodenheizung inklusive -, Gesetze erlässt, literarische Werke erschafft, der Mosel den Wein schenkt und (lange Zeit) mit seinen Legionen erfolgreich Krieg gegen seine Gegner führt - allerdings auch Frauen keine Gleichberechtigung zugesteht, an der Sklavenarbeit festhält, die Natur ausbeutet und Schaukämpfe mit nicht selten blutigem Ausgang zelebriert. Und dessen Bewohner erst an viele Götter glauben und sich dann - Apostel Paulus und Kaiser Konstantin sei Dank - dem einen zuwenden. Letzterer residierte bekanntlich in Trier und hinterließ uns Dom, Basilika und Kaiserthermen.
Und die Römer sind weiterhin präsent. Latein mag etwa im Schulunterricht das Nachsehen haben, gegenüber Französisch und Englisch. Latein ist aber die Grundlage vieler Sprachen und eh um uns herum: In einer Causa (Fall) entscheiden wir in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten), machen ab und an Tabula rasa (reinen Tisch) oder sacken den Bonus (gut) für unser Opus (Arbeit) ein, um mit einer „reservare“ im Lieblingsrestaurant zu speisen. Und Rom selbst, die einstige Hauptstadt, erfreut sich bester Gesundheit, gibt dem Papst eine Unterkunft und Geschichts-Leistungskursen Lektionen in Sachen Römer-Ruinen - die sind ja auch quer durch Europa verteilt.
Da stellt sich die Frage, ob wir es in der Region überhaupt schaffen, mal nicht an die Römer zu denken. In Trier begegnen uns mehrere antike Unesco-Welterbestätten auf Schritt und Tritt. In Nennig an der Obermosel ist ein Gladiatoren-Mosaik zu bestaunen. Bei Fließem präsentieren sich die Überreste einer Römer-Villa (Otrang), in Wittlich ebenfalls (auch wenn sie durch einen Autobahnbau teils zerstört worden ist). Dann haben wir noch die Säule der Igeler, das erst vor wenigen Jahren freigelegte Theater in Kastel-Staadt und nahe Morbach die Überreste eines Dorfes (Vicus) namens Belginum. Ganz zu schweigen von den Tawernern Tempeln, dem Weinschiff in Neumagen-Dhron, dem Goldschatz in Trier sowie Dauer- und Landesausstellungen wie der zum Untergang Roms. Das Mittelalter dürfte da froh sein, im Denken der Menschen auch mal durchzukommen. Aber das ist ein anderes Kapitel, die Zeiten von Rittern und Burgen in unserer Region (und nachzuhören im Volksfreund-Geschichtspodcast).
Und wer ist jetzt schuld am Social-Media-Hype rund um die Römer? Wohl ein Schwede namens Artur Hulu. Er postet als „Gaiusflavius“ auf Instagram Videos und Fotos über sein Reenactment (Darstellung historischer Ereignisse) - wahlweise als römischer Legionär oder als Germane in Diensten Roms. Mitte August veröffentlichte Hulu eine Frage an seine Fans, genauer einen Teil von ihnen: „Ladies, viele von euch wissen nicht, wie oft Männer an das Römische Reich denken“. Und hängte einen Aufruf dran, „Ehemänner, Partner, Väter und Brüder“ hierzu zu befragen, weil deren Antworten überraschen würden. Also die Frauen. Reaktion: Siehe oben.

Porta - Das Tor zur Geschichte: Alle Episoden zum Hören
An Rom zu denken, dürfte also - zumindest in unseren Breiten - eigentlich normal und gar nicht so ungewöhnlich sein. Aber warum nur Männer? Es gibt ja auch Expertinnen, die sich für die Antike interessieren, auch in der Region - zu hören zum Beispiel im Volksfreund-Podcast. Vielleicht, mutmaßte die Washington Post jüngst in einem Beitrag zum Römer-denken-Trend, sei das die Folge einer Überbetonung von Männlichkeit in der römischen Geschichte: Gladiatoren, die in einer Arena auftraten und um ihr Leben kämpften. Oder Legionäre, die in Reih und Glied an Roms Grenzen patrouillierten. Hulu selbst, zitiert das selbe Blatt den Geschichts-Influencer, habe den Aufruf aus Neugierde gestartet, nachdem er ein Ungleichgewicht von Frauen und Männern im Interesse an Rom bemerkt habe. Seine eigene Reenactment-Truppe sei selbst männlich dominiert: Unter den 18 Mitgliedern seien nur zwei Frauen. Er selbst denke fast täglich an die Römer, weil ihre Welt so unterschiedlich und doch ähnlich wie die unsere sei. Und Frauen waren sehr wohl im Römer-Reich präsent. Für Trier ist da Kaiserinmutter Helena zu nennen, die den Heiligen Rock an die Mosel gebracht haben soll. Und überhaupt: Wer hat all die kleinen Legionäre und Gladiatoren einst geboren, aufgezogen und ernährt?
Nun gibt es ja genug andere Supermächte aus der Geschichte, die (vielleicht) eine Erinnerung wert wären. Warum nicht öfters an die Spanier denken (haben mit viel Unrecht Christentum und Sprache nach Südamerika exportiert)? Oder an das britische Empire (hat mit ähnlichen Methoden die Grundlagen für die USA geschaffen). Und wie wäre es mit den Türken und deren Osmanischem Reich? Die Sultane aus Istanbul unterhielten ein Harem und hätten fast zwei Mal Wien erobert. „Was für eine Frage ist das“, fragte ein ungläubiger Tiktok-User seine Freundin, als sie ihm die Rom-Frage stellte. Da könne sie ja auch fragen, was er von der Ming-Dynastie halte. Stimmt. Die hat in China vor mehreren Jahrhunderten regiert und der Welt Porzellanvasen vermacht, ehe sie von den Mandschus „abgelöst“ wurde. Später folgten auf diese wiederum Mao Tse-tung und die Kommunisten. Und damit wären wir dann wieder beim Kommunismusbegründer Karl Marx, seiner Heimat Trier und einer Statue, die in Nachbarschaft zur Porta Nigra steht - schon denkt der Volksfreund-Redakteur erneut an die Römer.
Geschichts-Fan GaiusFlavius scheint übrigens neue Epochen auszuloten. In einem neuen Beitrag auf seinem Kanal präsentiert er einen „römischen Ehemann“, mit einer antiken Wachstafel in der Hand. Wie oft dieser an die alten Griechen denke, also nicht an die Römer? Antwort: Vielleicht zwei Mal am Tag. „Die Griechen haben viele tolle Sachen gemacht.“
Das Unesco-Weltkulturerbe in Trier (und Igel)
Da hat er nicht unrecht: Ihnen verdanken wir schließlich Philosophen, liebestolle Götter und die Demokratie. Und auch wenn immerzu die Römer im Vordergrund stehen: Tatsächlich waren diese selbst Fans der hellenischen Kultur und übernahmen diese. Vielleicht sollten (wir) Männer und Frauen also auch mal öfters an Platon, Aristoteles, Aphrodite, Zeus - und Sparta - denken. Und ab und an auch an die Ming-Dynastie.