Literatur So blumig wie im Spanischen darf’s nicht sein

Trier · Kreativ und herausfordernd – wie gut ein Roman ist, das liegt bei Übersetzungen nicht mehr in der Hand des Autoren: Die Triererin Lisa Grüneisen übersetzte unter anderem Romane des im Juni gestorbenen Erfolgsautors Carlos Ruiz Zafón („Der Schatten des Windes“). 

 Die Triererin Lisa Grüneisen übersetzte unter anderem Romane von Carlos Ruiz Zafón, Carlos Fuentes und Bestseller wie „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonso Falcones.

Die Triererin Lisa Grüneisen übersetzte unter anderem Romane von Carlos Ruiz Zafón, Carlos Fuentes und Bestseller wie „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonso Falcones.

Foto: TV/Andreas Feichtner

Einen Herrn namens Cervantes übersetzt Lisa Grüneisen gerade ins Deutsche. Nein, nicht Miguel de Cervantes Saavedra, der mit seinem Don Quijote im frühen 17. Jahrhundert Literaturgeschichte geschrieben hat. Sondern einen relativ jungen spanischen Autor, talentiert, aber noch unbekannt. Einer, der sich inhaltlich stärker an einem modernen spanischen Klassiker orientiert als an seinem Namensvetter, der gegen Windmühlen kämpfen ließ: „Der Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón inspirierte viele spanische Autoren in den vergangenen Jahren – es war der erfolgreichste spanische Roman seit „Don Quijote“. Über zehn Millionen Mal weltweit verkauft. In 36 Sprachen übersetzt. Anfangs hatte Zafón nur mit Mühe einen Verlag gefunden. Aber dann ging es 2002 in Spanien los, auch in Deutschland wurde „Der Schatten des Windes“ zu einem der erfolgreichsten Romane – auch, weil er 2003 euphorisch vom einstigen Buchhändler und damaligen Außenminister Joschka Fischer in Elke Heidenreichs ZDF-Sendung „Lesen!“ angepriesen wurde.

Zafón starb vor drei Wochen in Los Angeles an den Folgen einer Darmkrebserkrankung, mit 55 Jahren. „Ich habe aus den Medien von seinem Tod erfahren. Dass er schon lange krank war, hat er ziemlich für sich behalten“, sagt die Triererin Lisa Grüneisen, die unter anderem Zafóns Romane „Der Fürst des Nebels“ und „Der dunkle Wächter“ für den Fischer-Verlag ins Deutsche übersetzt hat.

Mit seinem Hauptübersetzer, dem in Barcelona lebenden Schweizer Peter Schwaar, ist sie seit vielen Jahren befreundet. „Wir haben uns das aufgeteilt – er hat die Erwachsenenromane übersetzt und ich die Jugendromane von Zafón.“

Eine Aufgabe, die literarisches Talent erfordert. „Zafón ist sehr wortgewaltig. Er schwelgt in seinen Bildern und Szenarien – das muss man adäquat rüberbringen. Das ist der Spaß daran, aber auch die Herausforderung“, sagt die gebürtige Saarländerin, die in Trier und Mainz Romanistik und Germanistik studierte – und dann in Trier blieb: „Wenn Zafón ein Bild hat, braucht er noch ein Bild und noch ein Bild. Die Bilder muss man umstellen. Das Spanische tendiert generell dazu, blumiger zu sein als das Deutsche.“ Die deutsche Leserschaft funktioniere oft anders. Wenn’s zu blumig wird, ermüdet sie das. „Aus drei Adjektiven kann man  gerne mal zwei machen.“

Für Lisa Grüneisen, Jahrgang 1967, ist Zafón nur einer von vielen Namen auf der langen Publikationsliste. Darauf finden sich etwa der Mexikaner Carlos Fuentes („Er wurde immer wieder mit dem Nobelpreis in Verbindung gebracht, bekam ihn aber nie“), Miguel Delibes („ein großer alter Herr der spanischen Literatur“) oder Lebensberatung von Jorge Bucay („Das Buch der Trauer“). Ein von Lisa Grüneisen übersetzter Bestseller ist der im mittelalterlichen Barcelona spielende „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonso Falcones. Sie übersetzte auch Frida Kahlo – die mexikanische Malerin ist zwar nicht als Autorin bekannt, sie hatte aber ausgiebig Tagebuch geführt und Briefe geschrieben.

Wie sie zum Job fand? Literarische Übersetzungen waren damals nicht Teil des Studiums: „Während der Examensphase habe ich ein spanisches Buch entdeckt , das ich toll fand. Ich habe angefangen, es  zu übersetzen, damit mein Mann es lesen konnte.“

Im Buch ging es um Granada und die Mauren, der Eichborn-Verlag brachte die Übersetzung damals heraus. „Nach dem Examen kamen Folgeaufträge. Seitdem bin ich freie Übersetzerin.“

Literarisches Übersetzen sei etwas komplett anderes als Dolmetschen. „Man sollte vor allem Deutsch können und ein Gespür für die Sprache haben. Die beste Methode, übersetzen zu lernen ist, viel zu lesen. Es ist wichtig, sich ein Repertoire an Sprache anzueignen.Das Schöne ist: Es ist eine kreative Arbeit. Man schreibt ein Buch, hat aber natürlich einen Bausatz, mit dem man arbeiten kann.“

Übersetzen lässt sich zwar auch im Lockdown, lesen sowieso. Die Corona-Pandemie habe aber auf die gesamte Branche Auswirkungen. „Ich weiß von vielen Kolleginnen und Kollegen, die im Moment keine Aufträge mehr bekommen oder deren Aufträge verschoben oder storniert wurden. Es ist noch nicht absehbar, wie es weitergehen wird. Ich denke, viele Verlage überdenken ihre Programme – und werden einiges streichen.“

 Der Bestsellerautor Carlos Ruiz Zafón starb im Juni im Alter von 55 Jahren in Los Angeles.

Der Bestsellerautor Carlos Ruiz Zafón starb im Juni im Alter von 55 Jahren in Los Angeles.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Zafón hatte auch nach „Der Schatten des Windes“ einige Erfolge, etwa „Das Spiel des Engels“ (2008), „Der Gefangene des Himmels“ (2012) oder „Das Labyrinth der Lichter“ (2017). Lisa Grüneisens Lieblingsbuch von ihm? „Ich müsste ja sagen, die Bücher, die ich selbst übersetzt habe, aber nein: Es ist ‚Der Schatten des Windes’, das fand ich eine sehr runde Sache. Schade, dass er so jung gestorben ist. Es wäre bestimmt noch Einiges von ihm gekommen.“

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