Architektur Bretterbuden, Schottergärten und Betonzäune: Hässlich sind immer die Häuser der anderen

Interview | Berlin · Mit Schottergärten und Gebäuden, die „aus der Reihe tanzen“ kennt sie sich aus: Architekturhistorikerin Turit Fröbe hat ein Herz für Bausünden und möchte mal wieder ins Saarland.

 Sichtschutzzaun aus Beton in Drosten. 
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Sichtschutzzaun aus Beton in Drosten. .

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe

Die Deutschen machen sich ihre Eigenheime und Vorgärten schön, aber immer findet sich jemand, der es hässlich nennt, was gebaut worden ist, sagt Turit Fröbe. Seit Jahren fotografiert und beobachtet die Architektur­historikerin Märchen-Schlösschen oder Elefanten in Vorgärten und versucht, Bausünden humorvoll und wertschätzend zu begegnen. Aber an so manchem Gartenzaun hört sogar für sie der Spaß auf.

Als ich Ihr Buch „Eigenwillige Eigenheime“ in der Buchhandlung abgeholt habe, sprachen mich gleich zwei Mitarbeiterinnen bei dem Blick auf das Cover fast „angeekelt“ darauf an. Warum reagieren Menschen so emotional auf Architektur, die nicht ihrem Geschmack entspricht?

Fröbe: Das Buch trägt nicht umsonst den Untertitel „Die Bausünden der anderen“. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, ganz gleich, was gebaut worden ist, es immer jemanden gibt, der es als Bausünde empfindet. Das ist mir sehr deutlich geworden, als ich ein wunderschönes mit Fichtenholz verkleidetes Architektenhaus fotografiert habe und ein Vorbeigehender stehen blieb und bemerkte: „schreckliche Bretterbude“. Jeder möchte sich sein Zuhause schön machen und es anderen zeigen, das sind die vorrangige Motivation und die subjektive Sicht jeder Bauherrin oder jedes Bauherren. Aber es gibt eben immer jemanden, der das, was ein anderer als schön empfindet, hässlich nennt.

„Auch Hobby und Beruf lassen sich als Botschaft in den öffentlichen Raum tragen“, schreibt Turit Fröbe zu diesem Berliner Vorgarten.

„Auch Hobby und Beruf lassen sich als Botschaft in den öffentlichen Raum tragen“, schreibt Turit Fröbe zu diesem Berliner Vorgarten.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe

Ich fühlte mich fast zu einer Rechtfertigung hingerissen, warum ich das Buch kaufe. Sind Eigenheime und vor allem Vorgärten zu so etwas wie einem Bekenntnis geworden, auf welcher Seite man steht – ästhetisch und mittlerweile natürlich auch ökologisch?

Fröbe: Schön wär’s. Ich bezweifele, dass sich diese Einsicht schon herausgebildet hat. Dafür gibt es noch zu viele dieser ökologisch durchaus fragwürdigen Tendenzen und Moden. Mich erschüttert es. Obwohl wir gerade auf allen Ebenen über Klimaschutz und Nachhaltigkeit sprechen, passieren die unfassbarsten Dinge in den Vorgärten unserer Mitmenschen – zum Beispiel Vollversiegelung. Ich habe jetzt einen großen Garten gefunden, der vollständig mit Kunstrasen ausgelegt war. Darin war nichts Lebendiges mehr.

Diese sogenannten „Gärten des Grauens“* sind in einigen Bundesländern und Kommunen verboten. Verbieten oder nicht?

Fröbe: Ich habe ein großes Herz für Bausünden. Ich mache mich nicht darüber lustig, sondern betrachte sie im Zweifelsfall mit Humor und versuche, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. In unserer Gesellschaft hat es über Jahrzehnte an baukultureller Bildung gefehlt, da kann man es niemandem zur Last legen, wenn ihm der Blick dafür fehlt. Ich muss gestehen, dass ich den Gestaltungswillen, der hinter abenteuerlichen Schottergärten steckt, sehr faszinierend finde. Gleichzeitig finde ich sie sehr fragwürdig und sollte eigentlich für Verbote sein. Aber besser wäre, wie ich schon sagte, an der Bildung anzusetzen. Es sollte allen klar sein, dass wir in jedem Bereich daran arbeiten müssen, dass Städte und Gemeinden klimagerecht werden, und dass es keine Vollversiegelung mehr geben darf.

 Beschreibung aus dem Buch von Turit Fröbe: Mönchengladbach. Tierfriedhof.

Beschreibung aus dem Buch von Turit Fröbe: Mönchengladbach. Tierfriedhof.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe

In unserer Region gibt es, wie vermutlich überall, eine Debatte, ob Häuser wie in der „Toskana“ oder „Bayern“ in die Neubaugebiete passen. Plädieren Sie auch hier für Aufklärung?

Fröbe: Für mich steht über allem die baukulturelle Bildung. Dafür und für mehr Gelassenheit kämpfe ich. Ich unterscheide zwischen den guten, also den originellen und fantasievollen, und den schlechten, austauschbaren Bausünden und kämpfe dafür, dass unsere Gesellschaft irgendwann so stark wird, dass sie nicht mehr auf die Investoren-Angebote hereinfällt. Die mediterranen Häuser-Träume, die gerade überall entstehen, finde ich sehr fragwürdig. Sie werden alle unter einem Individualitätsversprechen verkauft, aber in Wirklichkeit sind sie alle lieblose Einheitsware. Gerade wenn ich mich durch die Vororte bewege, habe ich oft das Gefühl, dass ich sie alle schon einmal gesehen habe, dass sie die Siedlungen alle gleich aussehen lassen. Diese haben alle durchgemeterte Fertighäuser, handtuchgroße Grundstücke, für die die Baukörper viel zu groß sind. Ich finde sie wahnsinnig trostlos. Ich wünsche mir eine Baukultur, in der junge Architektinnen und Architekten planen und bauen dürfen. Ich wünsche mir Programme und Initiativen, die serienmäßiges Bauen ermöglichen, bei denen man zum Beispiel Fenster zusammen bestellen kann. Aber solange das nicht der Fall ist, plädiere ich dafür, sich nicht verrückt zu machen.

Also auch hier keine Regeln für alle?

Fröbe: Gerade die unterschiedlichen Eigenheim-Gebiete mit ihren Bausünden sind mir lieber, als diese Regionen mit Siedlungsgestaltungssatzungen, in denen festgeschrieben wird, wie die Fenster aussehen sollen, wie die Fassade gestrichen sein muss und welche Pflanzen im Garten stehen. Denn trotz dieser Bestimmungen, versuchen die Menschen immer, ihre Wünsche durchzusetzen. Ich sitze gerade an einem sehr spannenden Projekt für eine Siedlung in Oberhausen, in der wir eine Gestaltungssatzung erarbeiten und die Anwohnenden an dem Prozess beteiligt werden. Da dürfen die Anwohnerinnen und Anwohner die Gestaltungssatzung mitschreiben. Es geht um einen partizipativen Ansatz, in dem die Bewohner die Gestaltungsregeln quasi mit aushandeln, in der Hoffnung, dass die Regeln zu mehr Akzeptanz führen.

Wie ein bayerisches Märchenschloss: Haus in Obernberg am Inn.

Wie ein bayerisches Märchenschloss: Haus in Obernberg am Inn.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe
Ein Hinkucker-Haus in Kiel.

Ein Hinkucker-Haus in Kiel.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe
 „Schlosspark-Anleihen“ in Pforzheim.

„Schlosspark-Anleihen“ in Pforzheim.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe
Turit Fröbe hat eine Herz für Bausünden, weniger für Schottergärten
Foto: © Philip Birau/Philip Birau

Die Bewertung von Architektur geschieht ja oft erst rückwirkend.

Fröbe: Ein großer Teil der Architektur kommt aus der Mode und wird dann zur Bausünde, das ist wahr. Aber es gibt auch genügend Bausünden, die von vornherein Bausünden sind. Das betrifft die ganzen schlechten Bausünden, die Iieblosen Investorenbanalitäten. Wenn man die Investoren darauf anspricht, heißt es, die Leute wollten das so. Aber die Leute verlassen sich darauf, dass ihnen etwas angeboten wird, das in Ordnung ist, weil sie nie ein Gefühl zum Beispiel für Proportionen entwickeln konnten. Architektur ist ja in erster Linie die Kunst der Proportionen. Sie entscheiden neben den Materialien darüber, ob etwas gut ist oder nicht.

Reicht der jetzige Unterricht nicht aus? Wo soll die baukulturelle Bildung ansetzen, für die Sie eintreten?

Fröbe: Ich habe gerade eine große Studie im Auftrag des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung abgeschlossen. Darin habe ich die Situation der baukulturellen Bildung im deutschen Schulsystem untersucht – sie muss zur Allgemeinbildung werden. Die Finnen haben das gut hinbekommen. Sie haben sich 1998 eine Architekturpolitik gegeben, in der sie festgelegt haben, dass baukulturelle Bildung eine lebenslange Bildungsaufgabe für jeden finnischen Bürger werden soll. Vorher haben sie dafür den Grundrechtekatalog der Verfassung geändert und das Recht auf eine angemessen gestaltete Umgebung in die Verfassung geschrieben. An dieses Recht sind auch Bürgerpflichten gekoppelt. Um diesen Pflichten gerecht zu werden, braucht es eben eine Schulung der gesamten Gesellschaft – auch zum Beispiel der Politiker und Entscheidungsträger. Aber langfristig ist die Schule der sicherste Weg. In einigen Bundesländern ist die baukulturelle Bildung schon in den Lehrplänen integriert, aber die wenigsten Lehrkräfte werden in ihrem Studium darauf vorbereitet, sie auch vermitteln zu wollen. Es fehlt ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein.

 Ein zweigeteiltes Haus in Göttelborn.

Ein zweigeteiltes Haus in Göttelborn.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe
Berlin: „Nachträglich veredelt“.

Berlin: „Nachträglich veredelt“.

Foto: © 2021 DuMont Buchverlag/Turit Fröbe

Sie machen sich schon lange für nicht schön empfundene Architektur stark. Ihr Buch „Die Kunst der Bausünde“ ist von 2013. Mittlerweile ist die Erhaltung ungeliebter Gebäude ein großes Thema. Es geht um Ressourcen.

Fröbe: Wir wissen inzwischen, dass wir es uns aus ökologischer Sicht nicht mehr leisten können, diese Gebäude abzureißen. In der bestehenden Architektur ist so viel graue Energie verbaut. Es wird also stärker für eine Kultur des Umbauens geworben und sie hat sich auch schon entwickelt. Ich werbe aber nicht dafür, dass man Bausünden umbaut, sondern behaupte, dass man sie auch schön finden kann, dass ein Herz für Bausünden durchaus helfen kann, sie mit anderen Augen zu betrachten. Ich würde mich freuen, wenn meine Bücher zu einem Umdenken beitragen würden. Sie schaffen einen eigenwilligen Spagat. Ich werde zu Theorie-Veranstaltungen eingeladen, aber sie halten es auch aus, wenn sie in der Humor-Abteilung der Buchhandlung liegen. Ich gehe davon aus, dass viele Leser gar nicht wissen, dass ich gute Bausünden schützenswert finde und mich nicht lustig darüber mache.

Gibt es Zentren der Bausünden, liegen sie eher in den Städten?

Fröbe: Das ist total unterschiedlich. In den Innenstädten hängt es ganz stark von den Ambitionen der einzelnen Städte ab. Bausünden brauchen einen gewissen Nährboden, auf dem sie gedeihen oder eben nicht. Manche Städte haben diese Ambitionen, und manche Städte nicht! Leider sind gerade die gut gemachten originellen Bausünden abriss-gefährdet, die wirklich ambitioniert waren und von einer Haltung und einem Willen zeugen. Aber gerade sie haben ein wunderbares Potenzial für unsere Innenstädte, weil sie nicht austauschbar sind und sich aus dem Einheitsbrei der schlechten Bausünden abheben. Die Eigenheim-Gebiete unterliegen anderen Regeln. In Baden-Württemberg zum Beispiel, im Land der Häuslebauer, habe ich eine große Dichte an Bausünden erwartet, aber ausgerechnet dort, habe ich nur einige Ausreißer gefunden. Daraus lässt sich schließen, dass es vermutlich Zugezogene sind. Aber dann gibt es Regionen, in denen jeder aus der Reihe tanzt, weil einer eine Bausünde baut, die von den anderen aufgegriffen und quasi beantwortet wird. Bausünden sind ein Statement: Es sagt aus, wo dieses Haus lieber stehen würde, es zeigt, die Hobbys der Bewohner, wo sie gerne Urlaub machen. All das macht auch bei der Gartengestaltung nicht halt.

Waren Sie auch schon in Rheinland-Pfalz und dem Saarland unterwegs?

Fröbe: Während des Studiums war ich einmal im Saarland, in Göttelborn bei Saarbücken. Da bin ich auch mit meiner Kamera in einer Siedlung unterwegs gewesen und jedes zweite Haus war interessant. Aber das ist lange her. Es war eine wahre Fundgrube für mich. Ich muss da unbedingt noch einmal hinfahren.

Gibt es eine aktuelle Bausünde, für die sogar Ihr großes Bausünden-Herz nicht groß genug ist?

Fröbe: Das sind die besprochenen Schottergärten. Aber am schlimmsten sind diese Fototapeten-Zäune aus PVC*. Ich habe die Tendenz ausgemacht, der Gestaltungswille geht immer weiter weg von der Fassade in den Garten. Möglichst schnell soll etwas geändert werden, aber keiner möchte sich festlegen. Es hat keiner mehr die Geduld, eine Hecke anzupflanzen oder eine richtige Mauer zu bauen, stattdessen ist alles aus Kunststoff. Das finde ich wirklich schwierig.

*„Gärten des Grauens“ heißt die Facebook-Seite des Biologen Ulf Soltau, auf der er Fotos sogenannter Schottergärten veröffentlicht. Er wendet sich damit gegen die Versiegelung von Vorgärten und veröffentlicht auch Bücher unter diesem Titel.

*Gemeint sind „Sichtschutzstreifen“ für Gitterzäune, die es in verschiedenen Farben und Mustern gibt, zum Beispiel mit Fotos von Kieselsteinen oder Blättern.

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