Tut nichts, der Jude wird verbrannt

Musikalisch eindrucksvoll, dicht inszeniert, faszinierend bebildert und exzellent gespielt: So präsentiert sich die Oper "Joseph Süß" von Detlev Glanert als letzte Premiere der Spielzeit 2009/2010. Eine anspruchsvolle Arbeit aus einem Guss, die das Publikum nachhaltig beeindruckt.

 Das auf einer Hebebühne errichtete Bühnenbild lässt die politischen Verhältnisse auch optisch kippen. TV-Foto: Friedemann Vetter

Das auf einer Hebebühne errichtete Bühnenbild lässt die politischen Verhältnisse auch optisch kippen. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Was für ein Schicksal im frühen 18. Jahrhundert: Der Jude Joseph Süss, Mitglied einer verfemten und verhassten Gesellschaftsgruppe, steigt als Bankier und Finanzberater zum enorm einflussreichen Geheimrat am Hof des Herzogs von Württemberg auf - und wird nach dessen Tod Opfer eines von der Öffentlichkeit geforderten und bei der Hinrichtung begeistert gefeierten Justizmordes.

Die Oper zeigt Süß im Gefängnis, kurz vor der Urteilsvollstreckung. Alptraumhaft tauchen Figuren aus seiner Vergangenheit auf, gruppieren sich zu einem Totentanz, befeuert von einer spannungsgeladenen, vielschichtigen Musik.

Das intelligente Bühnenbild (Gerd Hoffmann und Arlette Schwanenberg) erlaubt immer wieder schnelle Wechsel zwischen der Gefängnisszene im "Keller" und dem Blick auf die Karrierestationen von Süß. Der obere Teil der Hebebühne ist mit einem Labyrinth ausgestattet, das sich - mit kraftvollem, aber nicht plattem Symbolismus - in eine schiefe Ebene verwandelt, wenn die Verhältnisse umkippen.

Überhaupt ist nichts an diesem Abend platt. Keine Schwarz-Weiß-Zeichnungen, keine Klischees, keine Pseudo-Historisierung, aber auch keine zwanghafte Aktualisierung. Alexander Trauths genau, stimmstark und mit kluger Kraftaufteilung gesungene Titelpartie zeigt kein armes, wehrloses Opfer, sondern einen machtbewussten Taktiker, der die Gier des Herzogs nach Geld und Frauen bedient, obwohl er die Amoralität erkennt.

Zwei Architekten der Macht



Konkret und fassbar arbeitet Regisseur Sven Grützmacher den Hahnenkampf zwischen Süß und dem geltungssüchtigen Politiker Weissensee (ausgesprochen prägnant und präsent: Peter Koppelmann) heraus. Zwei Architekten der Macht, die vor allem eines unterscheidet: Der Umstand, dass Joseph Süß ein Verachteter ist, ein Jude, gegen den sich beliebige Klischees mobilisieren lassen. Man kann ihm die Schuld für alles in die Schuhe schieben, weil die Menschen daran glauben wollen, dass ihm alles zuzutrauen ist.

"Tut nichts, der Jude wird verbrannt" - die Worte des Patriarchen aus Lessings "Nathan" könnten als Leitmotiv über der Oper und ihrer Trierer Inszenierung stehen. Und Süß, der sonst so Intelligente, durchschaut das Spiel lange nicht, glaubt, seine Nützlichkeit für die Mächtigen und seine Anpassung würde ihn schützen. Das geht um Welten über ein Historiendrama hinaus. Grützmacher setzt das sehr stringent und zeitlos in Szene, manchmal sogar mit einer Spur Ironie, für die auch die anspielungsreichen Kostüme von Alexandra Bentele stehen.

Musikalisch lässt Dirigent Victor Puhl die Partitur des 1960 geborenen Komponisten Detlev Glanert aufblühen. Wilde Crescendi, lyrische Momente, Anspielungen an barocke Klänge, eine breite Farbpalette und eine mitreißende, erstaunlich präzise umgesetzte Rhythmik: Die Philharmoniker zeigen sich bei vielfältigen solistischen Aufgaben wie als Ensemble in prächtiger Verfassung. 90 hochkonzentrierte Minuten ohne jegliches Schwächeln.

Das gilt weitgehend auch für die Sänger. Eva Maria Günsch mann verabschiedet sich aus Trier mit den lyrisch-innigen Klängen der Süß-Tochter Naemi - in der ihr eigenen konstanten Qualität, die man vermissen wird. Evelyn Czesla als vom Herzog missbrauchte Weissensee-Tochter Magdalena, Barbara Meszaros als oberflächlich trällernde Opernsängerin, Francis Bouyer als markanter, vergeblich mahnender Rabbi, der Schauspieler Fabian Joel Walter mit hochmusikalischer Deklamation, Thomas Grünholz als grotesker Haushofmeister: Da ist jede Rolle sorgfältig gearbeitet und engagiert interpretiert. Nur der Herzog von Pawel Czekala ist zwar darstellerisch gelungen, aber stimmlich doch entschieden zu schwach, um so etwas wie Bedrohungspotenzial zu entwickeln.

Das Publikum ist gefordert, aber es zieht mit, lässt sich in den Bann schlagen, applaudiert am Ende anhaltend und sichtlich beeindruckt. Dabei hilft eine praktikable Übertitelung. Schade, dass Plätze leer geblieben sind. Vor dieser Art zeitgenössischer Oper braucht niemand Angst zu haben.

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