"Über den Tanz kann man Innenleben vermitteln"

Trier · Auf eine vielversprechende Uraufführung darf sich das Publikum freuen. Rosamund Gilmore inszeniert das Tanztheaterstück "Der Fremde" nach Albert Camus. Dafür hat die Komponistin Susan Oswell für das Philharmonische Orchester der Stadt Trier eine Symphonie geschrieben. Mit dem Stück stellt sich das neue Tanzensemble vor.

"Über den Tanz kann man Innenleben vermitteln"
Foto: Friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Trier. "Heute ist Mama gestorben, vielleicht auch gestern." Meursault weiß es nicht. Es ist ihm auch egal. Der "absurde Held" aus Albert Camus' Roman "Der Fremde", der jetzt als Tanzstück am Theater Trier inszeniert wird, betrachtet das Geschehen um sich herum ohne Beteiligung. Die Welt, in der er lebt, ist dem kleinen algerischen Angestellten, der zum Mörder wird, gleichgültig. Eine vermeintlich wohlgeordnete Welt, die ihm ebenso verständnislos gegenüber steht wie er ihr. Meursault wird auch deshalb zum Tode verurteilt, weil er nicht am Grab der Mutter geweint hat.
Mit seinem 1942 in Paris erschienen Roman hat der französische Literaturnobelpreisträger ein Schlüsselwerk des Existentialismus geschaffen. "Der Mensch ist sein eigenes Ziel" brachte der 1913 in Algerien geborene Schriftsteller, in der ihm eigenen knappen Nüchternheit seine "Philosophie des Absurden" in einem Tagebucheintrag auf den Punkt. Woraus sich ergibt: Sinnsuche in der Welt bleibt eine ebenso sinnlose Sisyphosarbeit wie der Versuch zwischenmenschlicher Kommunikation. Camus' Held verlässt am Ende seinen unbeteiligten Beobachtungsort. Angesichts seines nahen Todes schafft es Meursault, sich "der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt" zu öffnen.
Das Thema des Fremdseins in der Welt ist spätestens seit der Romantik ein Topthema in Kunst und Literatur. Auch die Choreografin und Regisseurin Rosamund Gilmore beschäftigt das Thema des Fremdseins seit langem. Der Auftrag des Trierer Intendanten Karl Sibelius an die englische Komponistin Susan Oswell, mit der Gilmore seit Ende der 70er Jahre zusammenarbeitet, eine Symphonie für das Philharmonische Orchester der Stadt Trier zu schreiben, brachte das Thema neuerlich ins Gespräch.
Zu Camus "Fremden" wurde die renommierte Künstlerin, die derzeit in Leipzig Wagners "Ring" inszeniert, durch eine Begegnung in der algerischen Botschaft angeregt. "Wenn du philosophieren willst, schreibe einen Roman", hatte Camus empfohlen. Auch Rosamund Gilmore setzt auf Erzählsprache, allerdings auf die des Tanzes sowie auf als Bewegung gestaltete Bilder. "Der Tanz ist eine Sprache, über die man das Innenleben von Menschen vermitteln kann", erklärt die kleine Frau mit den lebendigen Augen.
Aber nicht nur das: Anders als Wörter und Texte lässt der Tanz nach Ansicht der Choreografin dem Betrachter ein Maximum an Freiheit. Gerade darum geht es der Mitbegründerin der legendären Laokoon Dance Group. "Beim Tanz wird die Assoziation geweckt. Man kann ihn lesen, wie man ihn gerade sieht." Mehr noch: "Der Tanz hat die große Gabe zu rühren."
Wenn Gilmore von ihrer Liebe zu den Bildern und zum Geschichtenerzählen berichtet, meint sie damit keinen detailreichen Naturalismus. "Wenn ich zu realistisch werde, ist das für mich wie Schluckauf." Camus' Roman hat sie choreografisch in mehrere Kapitel gegliedert, die durch die Geschichte führen. Grundlegende Bedeutung hat in ihrer Inszenierung natürlich die Musik. "Schon als Kind habe ich Musik als bewegtes Bild gesehen", berichtet die Engländerin.
Mit dem "Fremden" stellt sich das neue Trierer Tanzensemble dem Publikum vor. Rosamund Gilmore ist voll des Lobes. "Es sind wunderbare Tänzer", schwärmt sie, "sie investieren Herz, Seele und Intelligenz in ihre Arbeit." Das gleiche gelte auch für das großartige Orchester. Überhaupt sei so eine Inszenierung viel "Muskelarbeit im Kopf". Am Ende gehe es dann allabendlich darum, auf Menschen zuzugehen und "die trennende Wand einzureißen".
Eigentlich genau das, was auch Albert Camus in seinem späteren Werk empfiehlt und wozu "Der Fremde" sozusagen den ersten Schritt tut.
Premiere ist am Freitag, 16. Oktober, 19.30 Uhr, im Großen Haus. Karten: 0651/718-1818.

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