Um die Ecke denken und Weichen stellen

Trier · Wie viel Kultur braucht Trier? Dieser Frage galt es bei Experten-Streitgespräch und Diskussion mit lokalen Akteuren aus Politik, Kultur und Wirtschaft nachzugehen. TV-Redakteur Dieter Lintz leitete die Runde, die Teil der entbrannten Kulturdebatte und der Arbeit an neuen Kulturleitlinien der Stadt war.

Trier. "Eine Stadt ohne Theater will ich nicht, aber man muss über eine andere Struktur und andere Organisationsformen nachdenken. Dazu muss man Mut haben", sagt Hermann Lewen, Chef des Mosel Musikfestivals. Auch wenn seine Festspiele minimal aus öffentlichen Töpfen gefördert würden, bestätigt Lewen den Bedarf an kulturell hochrangigen Angeboten in der Region. Dementgegen stehen 12,8 Millionen Euro. Diese Summe beschreibt das Defizit, das der Stadt Trier 2013 im Kulturbereich entsteht. Die Kultur steht auf dem Prüfstand, ihre Positionierung und Finanzierbarkeit werden öffentlich diskutiert, es wird an neuen kulturpolitischen Leitlinien gearbeitet.Wie viel Kultur aber braucht Trier, wie viel kann sich die Stadt leisten, welche neuen Wege gibt es und wer soll wie gefördert werden? Über diese Fragen setzten sich Co-Autor des Buches "Der Kulturinfarkt" Dieter Haselbach und der Kölner Journalist Jörg Jung, Sprecher der Initiative "Mut zur Kultur", auseinander. Jung plädiert für den Erhalt etwa von Theatern als Spitzen der Kultur, als notwendige Institutionen, Treffpunkte für Menschen vor allem in Notzeiten, als Orte, wo um die Ecke gedacht wird und Räume geschaffen werden, Künstler ihre Welt erobern können, wenn ihnen dazu die Freiheit gegeben werde. Kultur dürfe nicht darauf reduziert werden, ob sie wirtschaftlich vertretbar sei. Letztlich sei die Bürgerschaft der "Souverän, der dem Rat die Weichen stellen muss", sagt Jung.Haselbach hält dagegen, dass zu wenig Menschen ins Theater gingen , dass das Theater nur für eine kleine Gruppe in der Gesellschaft ein Ort der Identitätsfindung sei. Die Geschichte der geförderten Kultur sei in jeder Zeit von einem stetigen Formenwechsel geprägt, man müsse jetzt über Institutionen diskutieren, die "wir heute und in Zukunft brauchen", zumal sich das Freizeitverhalten der Menschen ändere. Ob man Kulturformen auch gegen den Markt halten könne und wolle, müsse man diskutieren. "Ungehörte Musik ist wie ungelesene Bücher, dann hat sie nicht stattgefunden", meint Haselbach.An der Diskussion nahmen teil: Tufa-Vorstandsvorsitzender Klaus Reeh ("Kulturpolitik wird nicht nur mit dem Haushalt gemacht"), IHK-Präsident Peter Adrian ("Die Kommune ist kurz davor zu kollabieren. Wir müssen andere Stellschrauben finden, wie wir die Theatermisere lösen können"), Kulturdezernent Thomas Egger ("Ich bin froh über jeden Euro, den wir in der Kultur halten") und Mosel Musikfestival-Intendant Hermann Lewen ("An der Diskussion über die Kulturleitlinien nehme ich nicht teil, das ist vertane Zeit. Man kann die Diskussion darüber nicht demokratisieren, für diese Arbeit gibt es Fachpersonal im Rathaus"). Anregungen kamen auch aus dem Publikum, etwa die freie Szene bei der Diskussion nicht zu vergessen oder einen Blick nach Sachsen zu werfen, wo der Freistaat mit dem Kulturraumgesetz in der Landesverfassung Kulturförderung festgeschrieben hat. Über die großen Zentren hinaus wurden Kulturräume mit Landkreisen als Pflichtmitgliedern geschaffen, die die Kulturträger unterstützen. Ob dies ein Modell für Trier und die Region sein kann oder welche Alternativen es gibt, steht auf dem Prüfstand. Der Prozess zur Erarbeitung der Leitlinien der Stadt Trier geht weiter. Jeder Bürger kann sich daran beteiligen. trier.de/Kultur-Freizeit/Kulturpolitische-Leitlinien

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