Umwerfend in den sanften Tönen

TRIER. Ein vorweihnachtliches Programm auf höch-stem Niveau bot der Konzertchor Trier mit ''L'Enfance du Christ'' von Hector Berlioz in der Abteikirche St. Maximin.

Zum 200. Geburtstag erlebt Hector Berlioz eine bemerkenswerte Renaissance. Landauf, landab werden seine teilweise recht sperrigen Werke herausgekramt und bescheren dem Publikum manche längst überfällige Wiederbegegnung.Dass der französische Komponist in Trier eine angemessene Würdigung erfährt, dafür sorgt - wenn schon nicht das Theater - der Konzertchor. Kaum zu glauben, dass das ebenso schlichte wie eindrucksvolle "Weihnachts-Oratorium" über die Kindheit Jesu im Trierer Konzertleben wohl noch nie Aufnahme gefunden hat.Anders als klassische Oratorien verzichtet "L'Enfance du Christ" auf das starre Gerüst biblischer Evangelientexte. Berlioz erzählt in eigenen Worten eine spannende, menschlich anrührende Episode aus der Bibelgeschichte: Wie Maria und Josef mit dem neugeborenen Jesus vor den Nachstellungen des Herodes flüchten und dank eines mitleidigen Hausbesitzers das Kinder-Massaker des Königs überleben.Manfred May zeichnet diese Geschichte mit dem städtischen Orchester und dem Konzertchor packend nach, unterstützt von einem Solisten-Quartett, das mit Attribut "erlesen" noch zurückhaltend beschrieben ist.Da ist Gundula Schneider als Maria, eine wunderbar timbrierte, gut geführte Mezzo-Stimme, deren erster Einsatz auch denjenigen gespannt den Kopf Richtung Bühne wenden lässt, der vielleicht gerade den Text im (sehr informativen) Programmheft verfolgt hat. Als Erzähler brilliert Clemens Bieber mit seinem betörend-lyrischen, souveränen, von jeglichen Abnutzungserscheinungen freien Tenor, der - auch in der guten französischen Idiomatik - an einen Leopold Simoneau erinnert.Bei Siegmund Nimsgern neigt man ob seines Alters dazu, zu sagen, sein Bassbariton höre sich "immer noch" gut an. Aber angesichts der leuchtenden melodischen Bögen und der feinen Differenzierung scheint die Einschränkung "immer noch" fast unverschämt. Bei den ganz tiefen Tönen, von Berlioz teilweise für einen Bass geschrieben, hat er freilich zu kämpfen. Thomas Beraus "Josef" liefert eine makellose, ausdrucksvolle Rollengestaltung, die nahtlos an seine gelungene Leistung im Trierer "Paulus" anknüpft.Manfred May und das städtische Orchester brauchen eine Zeit, um sich warm zu laufen. Am Anfang wirkt das musikalische Relief zu eben, aber es gewinnt von Szene zu Szene an Tiefenschärfe. Im lautmalerischen, illustrativen Vorspiel zum Abschied der Hirten, dem Ursprung des gesamten Stücks, erreicht das Orchester die größte Intensität. Gelungen auch das spielerisch-leichte "Hausmusik-Trio" für zwei Flöten und Harfe (Solisten: Regina Israel, Mandryka Müller, Helmut-Hans Thorn).Der Konzertchor ist geradezu umwerfend in seinen sanften Tönen. Der Hirten-Abschied wird so gesungen, dass man wirklich ein schlafendes Kind in der Nähe zu ahnen vermag, das "Trost-Lied" im dritten Teil versetzt den Zuhörer gar in ätherische Sphären. Wo umgeschaltet werden muss von Gut auf Böse, wo der Chor etwa die rabiaten Römer verkörpert, die Maria, Josef und das Kind herzlos zurückweisen, fehlt die nötige Härte der gesanglichen Ausdrucksmittel. Dafür ist das pianissimo gesungene Amen im innigen Schlusschor ein Erlebnis, das alleine schon den Konzertbesuch rechtfertigt.Zehn Sekunden braucht das Publikum in der gut besuchten Maximin-Abteikirche, um nach dem Verklingen des letzten Tons den eigenen Empfindungen nachzuhängen. Dann folgt ein langer, nachhaltiger Beifall.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort