...und immer ein Hauch Distanz

MERZIG. Zum 25. Todestag von Jacques Brel erinnerte der Merziger Zeltpalast mit einem Festival an den Chansonnier. Mehr als 500 Zuschauer kamen zum Auftakt-Abend mit dem Schauspieler und Sänger Dominique Horwitz.

Es gibt Aufgaben, an denen kann man eigentlich nur scheitern. Nach der Callas die Traviata zu singen beispielsweise, oder nach Beckenbauer Libero zu spielen. Entweder man kopiert das Original und gerät hoffnungslos ins Hintertreffen, oder man verfremdet die Vorlage und zieht sich den Zorn der Fans und Gralshüter zu.

Jacques Brel zu interpretieren ist ein ähnlich schwieriger Job. 25 Jahre nach seinem Tod ist der geniale Belgier immer noch omnipräsent, pünktlich zum Todestag überschwemmt neues Bild- und Tonmaterial den Markt. Jeder hat also das Original zur Verfügung, und diesem Vergleich standzuhalten, gelingt nur wenigen. Dominique Horwitz, so viel bewies der bejubelte Auftritt im Merziger Zeltpalast, gehört zu diesem illustren Kreis. Er marschiert, nein, er tanzt mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem winzigen Grat zwischen „Werktreue“ und Eigenständigkeit.

Äußerlich folgt das Konzert der Brel’schen Dramaturgie. Dunkler Anzug, Krawatte, Schwarzblenden beim Beifall zwischen den Liedern, schnelle Auf- und Abtritte, gestenreiche Untermalung der Texte: Das alles kennt man von Brel. Horwitz bedient sich des gestischen und mimischen Repertoires von Brel, aber er imitiert nicht. Immer ist ein Hauch Distanz spürbar, die Professionalität des Schauspielers, der eine Rolle spielt, mit einem feinen Gespür für Grenzen, die nicht überschritten werden sollten.

Und dann mischt Horwitz immer stärker eigene Stilmittel unter, musikalisch wie darstellerisch. Prägnante kleine Conférencen führen in die Titel ein, meist übersetzte Splitter des Textes, die die Sprachschwelle überwinden helfen. Kein Wort ist zu viel, keine Geste übertrieben, und wo es exaltiert wird, wirkt es glaubhaft. Wahrscheinlich braucht es einen exzellenten Darsteller für diese Aufgabe. Und ein respektabler Sänger ist Horwitz inzwischen auch geworden, misst man das Merziger Konzert an den Anfängen 1997, die auf einer gleichwohl hörenswerten CD dokumentiert sind. Vielleicht hilft es auch, dass die Physiognomie des Schauspiel-Stars kaum weniger eigenwillig ist als die von Jacques Brel. Der Balance-Akt gelingt nicht nur dem Sänger, sondern auch seiner vorzüglichen Band. Brel wird musikalisch nicht durch den Wolf gedreht, aber neu akzentuiert. Die E-Gitarre schärft manche Kontraste, und die Musiker erlauben sich die eine oder andere „Blue Note“, die bei der klassischen Orche-strierung des Originals nicht denkbar gewesen wäre. Die Abstimmung ist schlichtweg perfekt, das Klangbild wirkt trotzdem nie glatt.

Das Repertoire basiert auf dem ersten großen Brel-Konzert im Olympia 1961, ergänzt durch spätere Titel. Natürlich fehlen Klassiker wie „Amsterdam“ und „Ne me quitte pas“ nicht, aber die großen Entdeckungen sind Titel wie „La Statue“, das neu ins Programm aufgenommene Trinklied „L’Ivrogne“ und „Jojo“, Brels Abschiedslied für seinen langjährigen Freund Georges Pasquier. Für die Zuschauer wird das Konzert zum Erlebnis – dieses Programm würde übrigens auch eine Veranstaltungsreihe wie die Moselfestwochen zieren. Das Publikum jubelt vom ersten Titel an, bleibt zwei Stunden in Hochstimmung – und hört irgendwann einfach auf zu vergleichen. Ein größeres Kompliment kann man Horwitz schwerlich machen.

Die Zuschauer erkämpfen sich am Ende drei Zugaben, darunter eine skurrile „Metal-Version“ von „Les Bourgeois“. Zum Glück hat sich Dominique Horwitz auch in dieser Hinsicht seine Eigenständigkeit bewahrt: Der große Brel weigerte sich nämlich grundsätzlich, „Encores“ zu geben.

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