"Unser Theatersystem ist ein Anachronismus, kein Weltkulturerbe"
Wie geht es weiter mit dem Theater Trier in Zeiten klammer öffentlicher Kassen? Die Diskussion läuft. Der TV hat zehn Gastautoren gebeten, ihre Ideen und Vorschläge zur Zukunft des Hauses zu notieren. Heute: Joachim Arnold.
Es ist eine absurde Behauptung, nur im Schutz des öffentlich getragenen Theaters seien wahrhaft künstlerisch freie Leistungen überhaupt erst möglich. Auch im deutschsprachigen Raum war ein Miteinander von repräsentativen "Hoftheatern" und privaten Theatern und Theatertruppen immer die Regel.
Erst in der Bundesrepublik wurde das Theater in Deutschland generell "verstaatlicht". Das innovativste (und größte) Opernhaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Berliner Kroll-Oper. Sie war rein privat. Die wichtigsten Dirigenten traten hier auf, die Inszenierungen und Ausstattungen waren avantgardistisch und sind bis heute legendär. Das Opernhaus und Schauspielhaus Zürich, beide höchst erfolgreich, sind Aktiengesellschaften, im Eigentum von Tausenden von Bürgern. Im angelsächsischen Raum sind fast alle Theater privat - sie erhalten Zuschüsse, die sich an der Produktivität messen. Auch in Frankreich ist das so. Keine Verdi-Oper, keine Operette und keine Zauberflöte wären je aufgeführt worden ohne private Theater-Impresarios.
Ein Intendant, der keine Quote bringt, wird vom Stadtrat heute ebenso abgeschossen wie ein erfolgloser Manager vom Aufsichtsrat eines Wirtschaftsunternehmens. Willfährig bedienen die Intendanten diesen Zwang: Wer sich die Spielpläne der Theater in Deutschland anschaut, entdeckt flächendeckend von der Rocky Horror Show über die Zauberflöte bis zu den Gassenhauern von Verdi größtenteils "Standardrepertoire", ein Kanon von vielleicht 20 Werken.
Der Anspruch, Neues zu wagen, die viel beschworene künstlerische Freiheit wirklich ausleben? Größtenteils Fehlanzeige oder mit "Feigenblättern" von Uraufführungen maskiert, bei denen Prominenz und Presse mit Freikarten in der Premiere sitzen und bei den wenigen Folgevorstellungen gähnende Leere im Parkett herrscht.
Das Deutsche Theatersystem ist keineswegs Weltkulturerbe, wie von manchen gefordert, sondern strukturell ein Anachronismus, der weder der Arbeitsrealität seines Personals noch den Publikumsbedürfnissen des 21. Jahrhunderts entspricht.
Ob für Trier ein Städteverbund mit den anderen Theatern der Region die Lösung ist, bezweifle ich. Aus drei Halbblinden wird kein Scharfsichtiger. Die Diskussion sollte längst weiter sein und sich auf das konzentrieren, was hinten beziehungsweise auf der Bühne rauskommt. Wenn die Struktur eines Theaters auf die künstlerische Produktivität ausgerichtet ist und nicht auf den Erhalt des Apparats, kann mit deutlich weniger Geld viel mehr und vielfältigeres Theater auf einem ordentlichen Niveau gespielt werden. Der wesentlich kostengünstigere En-suite-Betrieb, der nebenbei auch zu einem besseren künstlerischen Niveau führt, ist dabei kein Widerspruch zur Forderung nach Abos. Künstler reisen heute nicht mehr in der Postkutsche, sind mobil und gewohnt, mehrere Arbeitgeber zu haben. Wer auch immer zukünftig das Theater macht: Mit klar formulierten Rahmenbedingungen in Bezug auf Anzahl der angebotenen Vorstellungen, Vielfalt des Spielplans, angebotene Genres, Preisgestaltung, Beschäftigungsverhältnisse, Einhaltung von Arbeitsrecht und Höhe der Produktionszuschüsse ist der private Betrieb eines Theaters auf hohem künstlerischen Niveau durchaus möglich.
Nächster Autor: Joachim Streit, Landrat im Eifelkreis Bitburg-Prüm
Extra
Der studierte Konzertpianist und Dirigent Joachim Arnold organisiert seit zwanzig Jahren als selbstständiger Inhaber der Firma Musik&Theater Saar Konzerte, Opern- und Theaterproduktionen - mit bislang mehr als einer halben Million Besuchern. Der heute 48-Jährige absolvierte in Zürich einen europäischen Intendanten-Studiengang in Kulturmanagement, war Marketing-Direktor an der Oper Zürich und Intendant auf Schloss Esterhazy. DiL