Musik Über allem: Nachdenklichkeit

Von Martin Möller · Unspektakulär, aber eindringlich: Bachchor und Philharmoniker in der Basilika.

 Orchester und der Bachchor musizieren in der Basilika.

Orchester und der Bachchor musizieren in der Basilika.

Foto: TV/Martin Möller

Die beiden Eröffnungs-Akkorde hallen lange nach im Riesenraum der zu zwei Dritteln besetzten Trierer Konstantin-Basilika. Es ist ein geradezu archaischer Effekt – so, also wollte man das Altertum wieder heraufbeschwören. Martin Bambauer und die Trierer Philharmoniker lassen von Beginn an keine Zweifel: Die „Tragische Ouvertüre“, die Johannes Brahms im Jahr 1880 schrieb, beschwört mit ihrer Wucht und Unerbittlichkeit die großen Tragödien der Antike. Nichts klingt harmlos und  privat.

Aber Orchester und Dirigent entdecken in dieser vielschichtigen Komposition noch ganz andere Dimensionen. Die Komposition strahlt auch Distanz aus zum Hörer und, vielleicht, zum Interpreten. Sie verbreitet Skepsis, vielleicht auch Fatalismus. Dem  harten, unmittelbaren Zugriff der Akkordschläge folgen düstere, aber kantable Linien – „sotto voce“, „mit leiser Stimme“ schreibt Brahms vor.  All das klingt mit bei Bambauer und den Philharmonikern.  Mag sein, dass die hallige Akustik auch Mängel und Schwächen überdeckte, etwa die heiklen Achtel-Figuren von Bratschen und Celli zum Seitenthema der Violinen. Aber man bewahrte doch stets die Ausgewogenheit in dieser zugleich reichen und zurückhaltenden Komposition.

Noch einmal Brahms. Beeindruckend, wie die Philharmoniker im „Schicksalslied“ die göttliche Seligkeit beschworen, die Hölderlins Text nuanciert beschreibt. Und dann der Chor.  In seiner Tongebung  klingt so deutlich die Sehnsucht nach den Götterfreuden mit, die Brahms so eindringlich in Töne fasst – und zugleich das Wissen um Leid und Unsicherheit menschlicher Existenz.  Wenn der Hölderlin-Text deren Schicksal beschreibt („doch uns ist gegeben auf keiner Stätte zu ruhn“), dann steigern sich Chor und Orchester zu einer gebrochenen, einer verzweifelten Dramatik. Aber Brahms hat gegen Ende die Eröffnung wieder aufgegriffen. Das Werk schließt rein instrumental und im zarten Pianissimo. Welch wunderbare, welch bewegende Vision!

Schumanns Requiem vom Jahr 1852 ist keine Komposition in der zweiten Reihe. Es steht mit Brahms auf Augenhöhe. Ein Grund mehr, an das weitgehend unbekannte Werk alle verfügbare  Energie zu wenden. Martin Bambauer, Bachchor und Philharmonisches Orchester taten es. Gewiss: Im Chor hätten bei den Männerstimmen einige Sänger zusätzlich nicht geschadet. Aber Sängerinnen und Sänger kämpfen sich durch diese nicht immer einfache und nicht immer sängerfreundliche Partitur und entfalten Schritt für Schritt ihre erstaunlichen Schönheiten. Die Fugensätze, vor allem die heikle Sanctus-Fortsetzung „pleni sunt coeli“ klingen gelegentlich eine Spur exerziert, aber sie gelingen. Sopranistin Lisa Wittig und Altistin Marion Eckstein bewältigen ihre Solopartien rundum überzeugend. Beide Sängerinnen, dazu Svetislav Stojanovic mit scharf zeichnendem Tenor und der solide Bass Vinzenz Haab formieren sich zu einem meist gut harmonierenden Ensemble – das reichlich unsaubere „Benedictus“ freilich ausgenommen. Und Martin Bambauer findet mit sicherem Gespür den Tonfall dieser Musik. Er meidet demonstrative Wucht. Er hat sich eingehört in den eigentümlich gedeckten und doch vielfältigen Klang dieser Totenmesse.

Es liegt ein sanfter Schatten über Schumanns Requiem. Ursache ist, anders als häufig unterstellt, keineswegs nachlassende Erfindungskraft. Was Martin Bambauer mit seinen Sängern und Instrumentalisten nachzeichnet, ist Schumanns Abkehr von der beflügelnden Brillanz seiner jungen Jahre, die Arbeit an einem völlig neuen Stil – persönlich, intim, sorgfältig strukturiert und ohne die musikalischen Überredungen, mit denen Wagner das Publikum anzog. Das Requiem markiert eine Zäsur in dieser Entwicklung; Schumann konnte sie bis zu seinem Tod 1856 nicht mehr  abschließen. Ganz so wie Brahms will er im Requiem nicht spontan überwältigen, sondern den Hörer einbinden in seinen Reflexions- und Kompositionsprozess. Diese Musik appelliert an die Nachdenklichkeit des Hörers. Und Nachdenklichkeit, sie stand wie ein Motto über diesem Konzert.

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