Unter dem Himmel von Paris

Er gilt als einer der Großen seines Metiers: der französische Fotograf Robert Doisneau. Um Motive für seine Bilder zu finden, hat er seine Heimatstadt kaum verlassen müssen. Seine Stars sind die einfachen Menschen in den Nebenstraßen von Paris.

Wer die Chansons von Charles Trenet, Edith Piaf oder Maurice Chevalier kennt, kann die Musik beinahe als Hintergrundrauschen beim Betrachten der Fotografien vernehmen. Wie die Lieder die Atmosphäre der französischen Hauptstadt wiedergeben, so erzählen die Bilder von Robert Doisneau von einem eben auch in den Schlagern beschworenen und längst versunkenen Paris:
Von Straßen, Plätzen, Häusern und jenen Außenbezirken, wo die Stadt in Brachland ausfasert, auf dem Jahre später die berüchtigten Banlieus mit ihren betonummantelten Menschenkartons hingeklotzt wurden. Robert Doisneau, 1912 im Pariser Vorort Gentilly geboren, war ein Dokumentarist der sogenannten kleinen Leute. Anders als viele seiner Kollegen ließen ihn Glanz und Glamour der Schönen, Reichen und Berühmten kalt.
Auch war er kein Gestalter des Dramatischen und Pathetischen; er fotografierte den Krieg nicht an der Front, sondern blieb bei den Helden in seiner Nachbarschaft, die mit Pflastersteinen und Revolvern dem Feind Paroli zu bieten versuchen - der Fotograf der Résistance. Er zeigt Menschen, die in U-Bahn-Stationen Schutz vor Bombenangriffen suchen; Halbwüchsige, die an einem Métro-Eingang mit an die Augen gelegten Händen einen Blick auf die Jagdbomber erhaschen wollen. Und er entdeckt mitten im Chaos Momente des kurzen Glücks eines Paares, das selbstversunken an der Seine sitzt ("Liebe und Stacheldraht").
Doisneau hält die historisch eher unbedeutenden, menschlich umso wichtigeren Augenblicke für die Nachwelt fest, und diese Bilder beschwören eine ganz eigene Stimmung und Atmosphäre, in die sich der Betrachter regelrecht versinken kann. Ein opulenter Bildband aus dem Kölner Taschen Verlag macht es möglich. Begonnen hatte Doisneau als Werksfotograf bei Renault; von diesen ersten Aufträgen her hat er sich die Liebe zu den einfachen Menschen ein Leben lang (er starb 1994) bis zuletzt erhalten. Seine Motive sind Arbeiter, Handwerker, Straßenmädchen, Kneipenbesucher, Clochards, spielende Kinder, Schlachter, Händler und Marktfrauen in "Les Halles", deren Abriss 1971 er ebenfalls in vielen Bildern dokumentiert. Selbst die wenigen Prominenten, die er ablichtet - Françoise Sagan, Isabelle Huppert, Yves Montand - werden von ihm bis zur Unkenntlichkeit normalisiert.
Albert Plécy, Chefredakteur der Zeitschrift "Point de Vue - Images du Monde", sagte über seinen Freund und Mitarbeiter: "Seine kleine Welt ist bewegend, zart, eher mitleiderregend als elend, manchmal auch heiter, voller Ironie, niemals grausam." Ihm sei nie daran gelegen, hat Doisneau einmal gesagt, ein großes Werk zu schaffen: "Ich wollte einfach nur eine Erinnerung haben an diese kleine Welt, die mir so am Herzen lag." no

Jean Claude Gautrand, Robert Doisneau, deutsch, englisch und französisch, Taschen Verlag Köln, 540 Seiten, 49,99 Euro.

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